Rezension „Teacher: Meine Lehrerin Anne Sullivan Macy “ von Helen Keller – Verlag Freies Geistesleben

Gebundene Ausgabe: 276 Seiten
Verlag: Freies Geistesleben; Auflage: 3 (25. April 2018)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 377252768X
ISBN-13: 978-3772527685
D: 22,00 Euro


Inhalt:

Teacher ist das persönlichste Buch der taubblinden Schriftstellerin Helen Keller, in dem sie über das Leben und die Erziehungsarbeit ihrer Lehrerin Anne Sullivan berichtet – und zugleich über ihre eigenen Erlebnisse und ihre Entwicklung an der Seite dieser Persönlichkeit. So gibt dieses Buch auch einen eindrucksvollen Einblick in Leben und Werk Helen Kellers.

Quelle: Amazon

Rezension:

Bereits mit neun Jahren hat mich das Schicksal von Helen Keller berührt und irgendwie hat sie mich all die Jahre danach nicht mehr losgelassen.

Allein die Vorstellung, in einer Welt ohne Licht und Laute zu leben, sich zurecht finden zu müssen war erschreckend. Doch wie mag es einem kleinen Kind ergehen, das nichts anderes kennt als die Stille und Dunkelheit um sich herum, dem die Welt jenseits des vertrauten Kokons unverständlich und bedrohlich erscheinen muss?

Helen beschreibt in ihrem Spätwerk mit einer außergewöhnlichen Tiefe ihre eigene Entwicklung und das damit untrennbar verbundene Leben von Anne Sullivan Macy.

Anfangs empfand ich eine große Distanziertheit seitens Helen gegenüber ihrem kindlichen Ich. Es war, als würde sie über eine fremde Person schreiben. Nach und nach begriff ich, dass diese Gedanken gar nicht so falsch waren. Zwischen der kleinen Helen und der erwachsenen Helen liegen Welten und eine Entwicklung die man kaum wirklich ergreifen kann. Sie zeigt auf, welch wildes Wesen die kleine Helen war. Ein Kind, das Gefühlsregungen und die Welt um sich herum weder begriff, noch sich darin zurecht fand. Helen reagierte auf Reize unvorhersehbar, fast wie ein wildes Tier. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob bzw. welche Intelligenz sich in diesem Mädchen verbarg. Nur der Glaube der Eltern und von Annie brachten eine faszinierende hochintelligente Persönlichkeit zu Tage.

Das Zusammentreffen von Anne Sullivan und Helen war eine Schicksalsfügung. Trotz ihrer ungenügenden Ausbildung konnte nur Anne den Kokon um Helen brechen und ihr die Hilfe geben, die sie benötigte. Für Helen wurde die Arbeit der Freundin nie entsprechend gewürdigt. Daher ist dieses Buch ihr letztes Vermächtnis an Teacher, wie Anne liebevoll genannt wurde. Es ist eine Liebeserklärung an einen besonderen Menschen. Anne bedauerte immer ihren unvollkommenen Wissensstand und blieb ein Leben lang wissbegierig, lernte stetig neue Dinge hinzu. Ihrer unkonventionellen Art, ihrem Ideenreichtum, ihrem Mut Neues auszuprobieren und einer angeborenen Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass aus Helen diese beeindruckende Persönlichkeit erwachsen konnte. 

Viele warfen den beiden Frauen vor, Helen würde nur als Sprachrohr für ihre Lehrerin fungieren und eher wie eine Art dressiertes Äffchen (meine Interpretation) auftreten. Ja, Anne Sullivan hat Helen geprägt, vielleicht etwas intensiver als es unsere Eltern mit uns tun. Aber sie ermöglichte es ihr auch, ihre eigene Sicht auf Dinge und die Menschen um sich herum zu gewinnen und sich durchzusetzen. Beeindruckend fand ich die Freiheit, die beide in dieser Zeit bereits genießen durften. Dabei verschweigt Helen nicht, dass das gemeinsame Leben auch von Schwierigkeiten und harten Zeiten geprägt wurde. Anne war für Helen Schwester, Freundin, Mutter und Lehrerin zugleich. Eine Rolle, die ihr sehr viel abverlangte, die sie aber voller Liebe und Ehrgeiz ausfüllte. Ihr Einfluss auf Helen war unbestritten intensiv, aber sie versuchte nie, Helen ihren Willen aufzuzwingen und gab ihr alle nötigen Freiheiten für eine eigenständige Entwicklung. Dennoch mochten die Menschen Helen oft kein eigenes Denkvermögen zugestehen und legten beiden Steine in den Weg.

Mich faszinieren beide Frauen enorm. Helen, die die Welt mit einer unglaublich bildhaften und poetischen Art betrachten gelernt hat und mich mit vielen Formulierungen überraschte. Die sich ein Leben lang für Menschen mit Behinderung einsetze und nie aufgab. Annie, die ihr Leben quasi nach einem fremden Kind ausrichtete, eigentlich fast nur einem einzigen Menschen – Helen – widmete und dabei ihr eigenes Glück nur allzu oft beiseite schob. Anne, die sogar ihre Gesundheit vernachlässigte, um für Helen da zu sein. Die Frau mit dem irischen Temperament, eben solchen Ecken, Kanten und Fehlern, war ihrer Zeit sehr voraus, war sich dessen allerdings meist nicht bewusst. 

Im vergangenen Halbjahr habe ich einen Kurs für Gebärdensprache besucht und setze diesen in wenigen Wochen mit dem DSG II fort. Wir hatten sehr viel Spaß an unseren gemeinsamen Nachmittagen und mit unserer tauben Lehrerin, die herrlich offen und witzig sein kann. 

Mich fasziniert die Verständigung per Gebärdensprache schon lange. Leider ergab sich zuvor leider keine Teilnahme an einem derartigen Lehrgang. 
Wisst Ihr, wie sprachlos man sich fühlen kann, wenn man etwas ausdrücken möchte, die entsprechende Gebärde hierfür aber noch nicht kennt oder vergessen hat? Dabei können wir ja noch visuell viele Dinge erfassen oder weitergeben. Nimmt man die visuelle Wahrnehmung weg, um wie viel schwieriger wird dann das Erlernen und Erfassen unbekannter Informationen bzw. Zusammenhänge.
„Teacher – Meine Lehrerin Anne Sullivan Macy“ ist ein beeindruckendes Werk, das niemanden auf einen Sockel hebt, aber ein Vermächtnis darstellt. Beide trugen wesentlich dazu bei, dass das Leben der Blinden erleichtert wurde. Helen bedauerte immer, nicht mehr für taub-blinde Menschen getan zu haben, da diese eine größere Unterstützung im Alltag benötigen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben bzw. ihre Fähigkeiten überhaupt entfalten und entwickeln zu können. Das dieses Buch von Helen Keller geschrieben wurde, hatte sie den Großteil ihres Lebens bereits hinter sich und Anne Sullivan Macy war bereits viele Jahre tot. Es zeichnet sich durch sehr viel Liebe und Hingabe, aber auch eine Reife aus, deren objektive Betrachtung der Vergangenheit neue Tore öffnet.
Das Buch wird beiden Frauen gerecht. Schreibt man über Anne, schreibt man auch über Helen, denn beider Leben sind untrennbar miteinander verbunden. Es war von einem einmaligen Miteinander geprägt, wie man es sicher nur sehr selten zwischen zwei Menschen finden kann.

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