Rezension „Vox“ von Christina Dalcher – Verlag S. Fischer

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten

Verlag: S. FISCHER; Auflage: 1 (15. August 2018)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3103974078
ISBN-13: 978-3103974072
D: 20,00 Euro

Inhalt:

In einer Welt, in der Frauen nur hundert Wörter am Tag sprechen dürfen, bricht eine das Gesetz. Das provozierende Überraschungsdebüt aus den USA, über das niemand schweigen wird!

Als die neue Regierung anordnet, dass Frauen ab sofort nicht mehr als hundert Wörter am Tag sprechen dürfen, will Jean McClellan diese wahnwitzige Nachricht nicht wahrhaben – das kann nicht passieren. Nicht im 21. Jahrhundert. Nicht in Amerika. Nicht ihr.

Das ist der Anfang.

Schon bald kann Jean ihren Beruf als Wissenschaftlerin nicht länger ausüben. Schon bald wird ihrer Tochter Sonia in der Schule nicht länger Lesen und Schreiben beigebracht. Sie und alle Mädchen und Frauen werden ihres Stimmrechts, ihres Lebensmuts, ihrer Träume beraubt.

Aber das ist nicht das Ende.

Für Sonia und alle entmündigten Frauen will Jean sich ihre Stimme zurückerkämpfen.

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Die Autorin:

Christina Dalcher pendelt zwischen den Südstaaten und Neapel. Die gebürtige Amerikanerin, zu deren Helden Stephen King und Carl Sagan zählen, promovierte an der Georgetown University in Theoretischer Linguistik und forschte über Sprache und Sprachverlust. Ihre Kurzgeschichten und Flash Fiction erschienen weltweit in Magazinen und Zeitschriften, u.a. wurde sie für den Pushcart Prize nominiert. »Vox« ist ihr Debütroman.

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Rezension:

Beobachtet Euch morgens einmal selbst und passt auf, was und wie viel Ihr allein innerhalb der ersten Stunde nach dem Aufstehen sprecht oder singt. Und nun rechnet einmal nach, wie viele Wörter in diesen Sätzen enthalten waren. Jedes einzelne kleine Wort zählt.

In „Vox“ wird die Welt in Amerika durch die Ideologie eines neuen Präsidenten um Jahrzehnte zurück versetzt. Frauen dürfen nur noch 100 Wörter pro Tag sprechen. Auch Zeichensprache ist verboten. Ihre einzige Daseinsberechtigung ist es, für die Familie, Haus und Herd zu sorgen. Der Unterrichtsstoff für Mädchen besteht aus Hauswirtschaft und den Grundlagen des einfachen Rechnens. Bücher und Bildung sind den Männern vorbehalten. Der Mann bestimmt eigentlich alles. Gleichgeschlechtliche Verbindungen sind untersagt und werden empfindlich geahndet.

Wer sich gegen das System auflehnt wird mit Arbeitslager sowie totaler Verstummung oder gar dem Tod bestraft. Dies geht mit öffentlichen Demütigungen einher und nimmt auch auf Kinder oder Jugendliche keine Rücksicht. Die Visionen der Regierung sind weitreichender als man anfangs erahnt und entfalten im Laufe der Handlung nach und nach ihr komplettes Schreckensszenario.

Wer sich schon einmal mit Psychologie oder auch der frühkindlichen Entwicklung beschäftigt hat, kann sich die Auswirkungen auf die geistige und mentale Entwicklung von Kindern, aber auch Erwachsenen vorstellen.

Christina Dalcher entwickelt eine Vision, die tief unter die Haut geht. Selbst wenn man ein Mensch weniger Worte ist, reichen 100 Wörter pro Tag nicht aus, um auch nur annähernd Gefühle, Gedanken, Sehnsüchte und mehr auszudrücken. Der Geist verkümmert ohne Anregung.

Erschreckend war, wie viele Männer, aber auch Frauen, sich ohne Widerspruch oder Kritik den fanatischen und christlich geprägten Anhängern von Reverend Carl anschlossen und nach seinen Manifesten lebten. Die Autorin zeigt beeindruckend klar, wie anfällig besonders Jugendliche für eine systematische, ideologische Infiltration sind, wie rasch sich ein Gesellschaftssystem in seinen Grundsätzen verändern kann.

Jedoch gibt es auch hier Menschen, die mutig gegen das System aufbegehren. Im Stillen und Geheimen. Ihr werdet über so manche Entwicklung überrascht sein. Nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Jean McCellan war für mich eine recht zwiespältig zu betrachtende Protagonistin. In ihr steckte viel Potential, was aber nicht ausreichend zum Tragen kommt. Mit ihr steht und fällt die Handlung und dennoch bleibt sie irgendwie blass und weckte in mir keine wahren Sympathien. Ihre Gefühle empfand ich als sehr oberflächlich und Ich-bezogen. Auch wenn man Jeans Frustration nachvollziehen kann, sah ich bei ihr kaum Bemühungen dafür, zumindest für ihre Kinder eine Art von sicherem Zuhause, einen Zufluchtsort zu schaffen. Selbst ihrer Tochter gegenüber konnte ich, bis auf kleine, kurze Einschübe, keine wirklich tiefen Muttergefühle spüren.

Dennoch ist die Idee an sich beklemmend und der Spannungsbogen gut aufgestellt.

Leider überschlagen sich am Ende die Ereignisse für mich zu sehr und streben wie unter Zeitdruck ihrem Ende zu. Die logischen Zusammenhänge lassen sich zwar mit sehr konzentriertem Lesen noch immer erfassen, allerdings verebbt die Handlung eher unbefriedigend. So hinterließ „Vox“ ein recht zwiespältiges Gefühl in mir.

Die Geschichte selbst hat mich trotz kleiner Schwächen auf besondere Art bis kurz vor Schluss gefesselt. Sind die beschriebenen Ideologien doch nicht nur Utopie und unsere Wissenschaft sicher weiter voran geschritten, als gedacht. Schon immer haben positive und bahnbrechende Erfindungen auch ihre Schattenseiten und negative Umkehrungen hervorgebracht.

Dies ist ein Buch über dessen düstere und so aktuelle Präsenz es viel nachzudenken und zu diskutieren gibt. 

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Eine Antwort zu Rezension „Vox“ von Christina Dalcher – Verlag S. Fischer

  1. paperlove sagt:

    Hallo ZwiebelchenÜber das Buch habe ich in den letzten Wochen sehr viele Meinungen gelesen und die meisten sind – wie deine – eher durchwachsen ausgefallen. Ich habe jetzt bereits mehrfach gelesen, dass die Grundidee sehr vielversprechend klingt, aber die Umsetzung nicht ganz gelungen ist. Schade, dass das Potential nicht vollumfänglich genutzt wurde. Bei mir wird das Buch deshalb nicht so bald auf der Wunschliste landen. Ich danke dir aber für deine ehrliche Rezension – irgendwie bin ich rückblickend froh, dass der Fischerverlag meine Anfrage damals abgelehnt hat :DLiebe Grüsse ♥paperlove von Between the Lines.

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