Rezension „George“ von Alex Gino – S. FISCHER Verlag

Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: FISCHER KJB; Auflage: 1 (25. August 2016)
Sprache: Deutsch
übersetzt von: Alexandra Ernst
ISBN-10: 3737340323
ISBN-13: 978-3737340328
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 10 Jahren
D: 14,99 Euro

Inhalt:

Sei, wer du bist!

George ist zehn Jahre alt, geht in die vierte Klasse, liebt die Farbe Rosa und liest heimlich Mädchenzeitschriften, die sie vor ihrer Mutter und ihrem großen Bruder versteckt. Jeder denkt, dass George ein Junge ist. Fast verzweifelt sie daran. Denn sie ist ein Mädchen! Bisher hat sie sich noch nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen. Noch nicht einmal ihre beste Freundin Kelly weiß davon. Aber dann wird in der Schule ein Theaterstück aufgeführt. Und George will die weibliche Hauptrolle spielen, um allen zu zeigen, wer sie ist. Als George und Kelly zusammen für die Aufführung proben, erzählt George Kelly ihr größtes Geheimnis. Kelly macht George Mut, zu sich selbst zu stehen.

›George‹ erzählt einfühlsam und unprätentiös vom Anderssein und ermutigt, den eigenen Weg zu gehen. Der erste Kinderroman zum Thema Transgender, der auch ältere Leser fesseln wird und der die Botschaft vermittelt: Sei, wer du bist!

Quelle: Amazon

Der Autor:

Alex Gino, geboren und aufgewachsen in Staten Island, New York, mag die Natur und Geschichten, die die Vielfalt des Lebens widerspiegeln. Heute lebt Alex Gino mit Partner und zwei Katzen in Kalifornien, USA. Alex Gino ist seit über zwanzig Jahren in der queeren und transgender Bewegung aktiv. Persönliche Erfahrungen und das Wissen, dass transgender Kinder Romane brauchen, die sie bestärken und ihnen Mut machen, waren der Anlass <i>George</i> zu schreiben.

Literaturpreise:

›George‹:
Stonewall Book Award

Quelle: Amazon

Rezension:

„Für dich, als du das Gefühl hattest, nicht dazuzugehören.“

Heute möchte ich Euch George vorstellen. Die erste Beschreibung, die mir bereits nach wenigen Seiten im Buch in den Sinn kam: „George ist zauberhaft“. In diesem Moment bezieht sich meine Aussage einmal nicht auf das Buch selbst, sondern die Person George. Dieser Eindruck verstärkte sich mit jeder gelesenen Seite. 

Transgender sind seit geraumer Zeit ein Thema in der Buchwelt. Ob Jugendliche in der Pubertät, am Rande zum Erwachsen werden (z. B. in „Zusammen werden wir leuchten“) oder gestandene Persönlichkeiten in der Gesellschaft. Doch ein Buch über ein Kind, sprich hier den 10jährigen George, gab es soweit noch nicht. Es ist ein Wagnis, das Alex Gino eingegangen ist und ein Bedürfnis zugleich. Doch „George“ ist wichtig und ein großer Schritt zur richtigen Zeit.

Was gleich nach den ersten Seiten auffällt, der Autor lässt George von Anfang an als Mädchen auftreten. Als Leser hat man George gefühlt immer als Mädchen im Blick. Würde man das Buch ohne Kenntnis des Klappentextes beginnen zu lesen, käme man erst nach mehreren Seiten auf den Rückschluss, dass es sich bei George zumindest rein äußerlich um einen Jungen handelt.

Alex Gino weiß worüber er hier schreibt und kennt die innere Zerrissenheit, wenn Körper und Geist nicht miteinander harmonieren bzw. dem gesellschaftlichen Bild entsprechen aus eigener Erfahrung. Alex Gino´s Genderidentität ist genderqueer (männlich-weiblich dual). Und in diesem Zusammenhang habe ich auch wieder etwas hinzu gelernt.

Wie nehmen Kinder ihren Platz in der Gesellschaft ein? 
Sie werden geprägt durch ihre Umfeld. Doch wie viel Einfluss besitzen innere Instinkte, angeborene Eigenschaften?
Jedes Kind ist anders und wenn man drei Kinder annähernd gleich erzieht, wird sich doch jedes individuell entwickeln. Ich spreche aus Erfahrung und jedes meiner Kinder hatte von Geburt an seine Eigenheiten, die sie bis heute nicht abgelegt haben.
Wer oder was bestimmt, ob wir ein Junge oder ein Mädchen sind? Sind es rein die Gene und äußerlichen Merkmale, unser Verhalten oder Gefühle?
Jungen spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen. Was aber, wenn das Mädchen eher Autos liebt und der Junge glücklich ist, einen Puppenwagen durch den Garten zu schieben? Ein Junge kann genauso aufgeregt sein kann, wenn er einen Bagger bei der Arbeit sieht, wie beim Puppenwagen schieben. Das Mädchen hat genauso Spaß daran, stundenlang Autos hin und her zu schieben, wie ihre Barbiepuppen neu einzukleiden. Toll, wenn sie ihre Umgebung und Möglichkeiten spielerisch erkunden können. Was zukünftig daraus wird können wir als Eltern nur bedingt beeinflussen. Wir müssen offen sein und sie bei ihrem Tun unterstützen. 

George ist erst zehn Jahre alt und doch weiß sie bereits ganz genau wer sie ist, ein Mädchen im Körper eines Jungen. Ihr ganzes Wesen ist davon geprägt. Es fehlt nur noch der Mut, sich ihren Eltern und Freunden anzuvertrauen. Sie hat Angst, ihre Familie mit der Wahrheit zu verletzen oder nicht ernst genommen zu werden. Anders zu sein ist für niemanden leicht. 
Ihre Sehnsüchte verfolgt sie bisher nur im geheimen. George lebt mit ihrer gespaltenen Gefühlswelt allein und traut sich nicht, sich jemandem zu offenbaren. Allein der Drang dazu wächst ständig. 
Bis auf ihre Freundschaft mit Kelly, die noch sehr wichtig werden wird, gehört George nirgendwo richtig dazu. Sie fühlt sich ausgeschlossen und allein. Sicher kennen fast alle von Euch dieses Gefühl, wenn man nicht dazugehört und können nachvollziehen, um wie viel stärker sich diese Gefühle bei einem Kind äußern.

George lebt ihr wahres Ich nur im geheimen, bis ihre Schule eines Tages ein Theaterstück aufführt und George sich nichts sehnlicher wünscht, als die Hauprolle, eine Mädchenrolle, darin spielen zu dürfen. Als Junge wird ihr dies jedoch verwehrt. Warum eigentlich? In früheren Zeiten wurden die weiblichen Theaterrollen nur von Männern verkörpert und es war völlig normal. Unser Gesellschaftsbild hat sich in Klischees verrannt. 

Und an dieser Stelle bin ich auch direkt beim ersten Kritikpunkt dieser Buchbesprechung angelangt. Selbst Alex Gino bedient sich in seinen Beschreibungen althergebrachter Klischees, die er doch eigentlich mit diesem Buch ausräumen möchte. Auch bei ihm fallen die Personen in von der Gesellschaft geprägte Verhaltensmuster. Außer George und Kelly verhalten sich die handelnden Personen überwiegend katalogisiert. An diesem Punkt wünschte ich mir von ihm mehr Offenheit.

George liebte es, mit drei Jahren, in den Kleidern ihrer Mum zu posieren. Was sich mir im Buch allerdings nicht so ganz erschlossen hat ist, dass aufgrund dieser Tatsache und dass George z. B. Mädchenzeitungen liest sowie diese in einer typischen Mädchentasche verwahrt, alle denken, dass George schwul wäre. Mir fehlte da so ein wenig die Differenzierung zwischen Transgender und Homosexualität als Erklärung für die Kinder und Jugendlichen, die dieses Buch lesen werden. Für viele wird es die erste Berührung mit dem Thema „Transgender“ und dem „Anderssein“ sein.

Zum Glück gibt es Kelly, für die George einfach George ist. Für Kelly ist George, nachdem diese sich ihr geöffnet hat, eben einfach die beste Freundin. Sie ermöglicht ihr die Erfüllung eines großen Traumes. Ohne zu wissen, welche Auswirkungen dieses öffentliche Outing für George haben wird, beschreiten beide gemeinsam diesen Weg. Kelly akzeptiert „Melissa“ und nimmt sie an der Hand und gibt ihr Halt. Bekommt „Melissa“ eine Chance?

An diesem sehen wir, wie viel offener Kinder im Umgang miteinander sein können. George hat sich ja auch vom Wesen her nicht geändert, nur der Blick der Außenstehenden auf sie als Person ist nun ein anderer. So lernen bereits Kinder Verständnis für diejenigen aufzubringen, die nicht dem normalen Gesellschaftschema entsprechen.

Eine beeindruckende Geschichte voller Empathie, der man sich von der ersten Seite an nicht entziehen kann. Der ideale Einstieg, um Kinder mit der Thematik des Andersseins und dessen Akzeptanz in Berührung zu bringen.

Wenn ein Buch von zwei Personen gelesen wird, sind die Einblicke und Emotionen nicht immer dieselben, doch manche Bücher erzeugen einfach einen Gleichklang der Gefühle. 
Ein Blick zu Arndt von AstroLibrium und seiner Sicht auf den Roman, wird Euch dies zeigen.


Und noch eine Stimme zum Buch: Ronja von Bücherstöberecke

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