Im Rahmen eines Besuches von Eva Schloss in Weimar und den Filmaufnahmen des japanischen Fernsehens, wurde durch den Eckhaus Verlag recht spontan eine Lesung im Weimarer Schloss geplant und organisiert.
Trotz wirklich kurzfristiger Ankündigung und einer recht frühen Uhrzeit für einen Wochentag, erfreute sich diese Lesung eines regen Zuspruchs. Am Ende mussten sogar Besucher aufgrund der beschränkten Kapazitäten weggeschickt werden.
Neben wissbegierigen Schülern der Weimarer Gymnasien und geladenen Gästen konnten 50 weitere Besucher einer interessanten, ernsten, bewegenden, aber auch von Humor geprägten Lesung bzw. Unterhaltung folgen. Herr Seemann verstand es einfühlsam durch den Abend zu führen.
Eva Schloss, geborene Geiringer, war mir bereits aufgrund ihres ersten Buches aus dem Jahr 2004 „Evas Geschichte – Anne Franks Stiefschwester erzählt“ bekannt.
Ich habe „Amsterdam 11. Mai 1944 – Das Ende meiner Kindheit“ noch nicht gelesen, werde euch aber später an meinen Leseeindrücken teilhaben lassen.
Eva Schloss ist für ihre 86 Jahre eine noch sehr agile Dame, die sich selbst als ungebrochene Optimistin bezeichnet. Sie hat mich durch ihre Art zu erzählen, ihre Ausstrahlung und einen ganz besonderen Humor beeindruckt. Es war meine erste persönliche Begegnung mit einer Zeitzeugin und ich bin dankbar, diese Gelegenheit bekommen zu haben.
Eva Schloss floh mit ihrer Familie bereits im Alter von 9 Jahren über Belgien nach Holland. In Belgien waren die Emigranten aus Deutschland jedoch nicht willkommen und man grenzte das junge Mädchen aus. So wurden alle ausgereichten Geburtstagseinladungen von den Eltern der Kinder ausgeschlagen. Ein Vorfall, der einem 10jährigen Kind sehr wehtun muss. Dagegen wurde die Familie in Holland freundlich aufgenommen. Hier lernte Eva auch ihre Altersgenossin Anne Frank kennen und die Mädchen freundeten sich an. Jedoch gab es zwischen ihnen nicht viele Berührungspunkte, da Anne Frank bereits zu dieser Zeit eher ein Bücherwurm war, Wert auf ihr Aussehen legte und nach Jungs Ausschau hielt. Dagegen war Eva ein ungestümer Wildfang, der wenig auf Äußerlichkeiten achtete und sich lieber sportlich betätigte. Dagegen fiel ihr das Lernen zu dieser Zeit schwer.
Evas Bruder und Margot Frank waren gleichaltrig und erhielten zum selben Zeitpunkt ihren Aufruf zum Transport ins Arbeitslager. Aus diesem Grund verschwanden beide Familien gleichzeitig. Im Gegensatz zur Familie Frank versteckte sich die Familie Geiringer getrennt in wechselnden Verstecken. So hatte Eva in diesem Zeitraum wenig Gelegenheit zu Gesprächen mit ihrem Vater und ihrem Bruder. Dies bedauert sie noch heute. Evas Vater erhoffte sich auf diese Weise eine größere Überlebenschance für die Familie.
Ausgerechnet an ihrem 15. Geburtstag wurden sie durch eine Doppelspionin verraten und inhaftiert.
Nur Eva und ihre Mutter überlebten die Schrecken des Konzentrationslagers.
Wenn man sich überlegt, dass diese Menschen für 5 Gulden pro Kopf verraten wurden – sicher viel Geld, wenn man Lebensmittel kaufen muss – doch nichts im Vergleich für ein Menschenleben.
Durch ein gut gewähltes Versteck überstanden ca. 200 Gedichte und Bilder ihres Bruders Heinz den Krieg und kamen zurück in den Besitz von Evas Mutter. Heute befinden sich diese Bilder in einem Museum, werden in wechselnden Ausstellungen gezeigt und bleiben so der Nachwelt erhalten.
Eva Schloss war nach dem Krieg nur ein einziges Mal zusammen mit ihrer Tochter in Wien, konnte aber keinen Bezug mehr zu ihrer Heimatstadt aufbauen. Im Gespräch verriet sie, dass ihr partout die alte Wohnadresse nicht einfallen wollte. Als sie jedoch nach Hause kam, war alles wieder da.
Otto Frank wurde nach Kriegsende zu einem guten Freund, bis er dann 1953 Evas Mutter heiratete. Für sie war er väterlicher Freund, Stütze und er gab ihr die Motivation zum Weiterleben.
Entgegen dem, was viele denken, war Eva Schloss nicht glücklich, den Holocaust überlebt zu haben. Sie war voller Wut und Hass, doch Otto Frank zeigte ihr, dass sie mit diesen Gefühlen ihr Leben zerstören würde. Lange Zeit überwiegte die Traurigkeit über die erlittenen Verluste. In Ausschwitz gab es eine nicht enden wollende Hoffnung, die ihr den Lebensmut erhielt, doch nach Kriegsende fühlte sie sich viele Jahre einfach nur unglücklich. Es gibt sogar eine Notiz vom 01.01.1942, dass sie sich umbringen wollte.
Eine Zeitlang war die junge Eva eifersüchtig auf ihre einstige Freundin Anne Frank, hatte sie doch ein ähnliches Schicksal erlitten und überlebt. Doch erkannte sie, dass sie selbst eine neue Familie, ein neues Leben bekommen hatte. Ihre Aussage: „Man muss nicht eifersüchtig sein auf jemanden, der kein Leben hat.“, beeindruckte mich, stimmte mich aber auch sehr nachdenklich.
Erst 1986 begann Eva Schloss mit ihrem Mann, ihren Töchtern und Außenstehenden über die Vergangenheit zu sprechen. Seitdem hat sie damit nicht aufgehört.
Sie sprach auch darüber, dass die Menschen nicht genug aus der Vergangenheit gelernt haben und es in der Welt an vielen Orten noch schlimmer geworden ist. Sie möchte niemanden verdammen. Sie möchte mit ihren Büchern und in Gesprächen Verständnis erwecken, aber keine Schuldgefühle bei der heutigen Generation hervorrufen. Es sollen Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Stolpersteine sind für Eva Schloss sehr wichtig, um zu zeigen, dass diese Menschen je gelebt haben und nicht vergessen werden.
Über Politik wollte sie eigentlich nicht sprechen. Dennoch bewegt sie die aktuelle Flüchtlingspolitik sehr. Eva Schloss weiß, wie schuldig sich ihr Vater gefühlt hat, dass er seine Familie nicht beschützen konnte. Wie er sich für sein „Versagen“ schämte. So gehen ihr die aktuellen Geschehen sehr nahe. Jedoch ist sie beeindruckt, von der in Deutschland vielerorts gezeigten Hilfsbereitschaft. Sie bezeichnete ihre Erlebnisse in Weimar als erfrischend positiv.
Auch nach einer sicher anstrengenden Gesprächs- und Lesestunde wurde Eva Schloss nicht müde, zahlreiche Bücher zu signieren und Fragen zu ihrem Leben zu beantworten.
Eine sehr beeindruckende Frau.
Da sitzt man am frühen Morgen vor Anja Schmidts Artikel zu einer besonderen Lesung "Gegen das Vergessen" und versinkt in ihren Worten, weil wir auch vorher über die Autorin und Zeitzeugin gesprochen haben.Es handelt sich um Eva Schloss und ihr Buch – "Amsterdam 11. Mai 1944 Das Ende meiner Kindheit". Insider wissen, dass Eva die Stiefschwester von Anne Frank ist, weil Annes Vater ihre Mutter nach dem Krieg heiratete. Und sie war eine gute Freundin von Anne mit einer ganz eigenen Geschichte.Und plötzlich klingelt es an der Tür. Ein Paket wird abgegeben und mir fällt beim Öffnen das oben genannte Buch mit der Signatur der Autorin und einem Brief von Anja in die Hände.Ein Gefühl, als würde eine Rezension aus dem Computer fallen. Unfassbar… und vieles mehr… .Danke, Anja
Danke für diesen tollen Bericht. Das Buch wird seinen Weg in mein "Gegen das Vergessen"-Regal finden.
Hallo ihr Lieben,leider kann ich auf eure Kommentare nicht direkt antworten.Doch auch noch einmal hier, Arndt, ich freue mich, dass meine kleine Aktion so toll funktioniert und zeitlich alles zusammengepasst hat. :)Anne, ich hoffe, dass das Buch dich genauso berührt, wie mich Eva Schloss persönlich beeindruckt hat.LG Anja