Kurzgeschichte – „Eine wundersame Rettung“

Es war ein milder
Augustvormittag. Ich hatte mich mit meinen beiden besten Freundinnen im Tierpark
verabredet. Bei einem gemütlichen Picknick wollten wir über mein aktuelles
Buchprojekt sprechen. Ich hatte gerade eine heftige Schreibblockade und
erhoffte mir von den beiden ein paar neue kreative Ideen.
Wir schlugen
unsere Picknickdecke auf einem saftig grünen Rasenstück auf, von welchem sich
uns ein herrlicher Blick auf die Tiergehege rings herum eröffnete. Mitten im
gemütlichen Plausch über mein neues Buch lenkte mich eine winzige kleine
Bewegung ab. Fast hätte ich es gar nicht bemerkt. Gerade als ich ein Stückchen
meines Sahnekuchens abbeißen wollte, erblickte ich eine kleine rote Ameise.
Hatte sie mir eben zugezwinkert? Nein, dass konnte nicht sein. Doch da! Schon
wieder! Sie hatte eindeutig gezwinkert und ihre Ärmchen zu einer Art Winken hin
und her geschwungen. Das Gespräch um mich herum nahm ich nur noch als ein
sanftes Plätschern von Tönen wahr. Das Tierchen vor meiner Nase zog mich in
seinen Bann. Bewegte sich da nicht auch der kleine Mund? Ja, jetzt konnte ich
auch einzelne Töne unterscheiden. Diese Ameise sprach tatsächlich zu mir. Doch,
wie konnte das sein? Hatte ich schon zu lange in der Sonne gesessen und bekam
Halluzinationen?
Ohne
Vorwarnung begann sich die Welt um mich herum wie in einer Spirale zu drehen.
Immer schneller und schneller. Gerade als ich dachte, ich würde es nicht mehr
aushalten, war der Spuk ebenso plötzlich vorbei, wie er angefangen hatte. Doch
was war aus meiner Welt geworden. Ich schien geschrumpft zu sein und fand mich
Auge in Auge mit der Ameise auf dem weichen Wiesenboden wieder. Die Grashalme
ragten wie Baumstämme über mir auf. Ehe ich es mich versah, war ich von einer
Schar roter glänzender Waldameisen umkreist. Doch anstatt angstvoll
zusammenzusinken, konnte ich die Wesen vor mir nur sprachlos anblicken.
Gefährlich sahen sie auf keinen Fall aus. Eine Ameise hatte ein verbundenes
Bein und stützte sich auf einen winzigen kleinen Stock, die nächste hielt ihren
Arm in einer Schlinge und wieder eine andere hatte einen dicken Kopfverband. So
ging es reihum weiter. Die größte der Ameisen, die mit dem dicken Kopfverband, stellte
sich mir als Hauptmann vor. „Wir wollten dich nicht erschrecken. Bitte verzeih uns
diesen Überfall, doch wir benötigen dringend deine Hilfe.“ „Wie kann das sein?
Träume ich?“ Augenscheinlich hatte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, denn
das Wesen vor mir antwortete: „Nein, du träumst nicht. Bitte begleite uns. Efira,
unsere Königin, wird dir alles erklären.“ Noch immer begriff ich nicht, was
genau vor sich ging, doch die Neugier besiegte meine Angst. Also folgte ich den
Ameisen. 
Über ein kompliziertes System von Tunneln, Türen und schmalen Durchgängen,
gelangten wir in einen gewölbeartigen Raum. Auf einem winzigen, kunstvoll aus
kleinen Zweigen und Blättern gefertigten Thron saß eine sehr große rote Ameise.
Ehrfurchtsvoll verneigten sich meine Begleiter vor ihr. Eine befehlsgewohnte
Stimme erfüllte sogleich den Raum. „Danke, dass du zu mir gekommen bist. Du
bist unsere letzte Rettung. Meine Freundin, ein kleines Kattamädchen, hat sich
einen winzigen Dorn in den Fuß getreten. Die Pfleger können ihn nicht finden.
Wir haben schon versucht, den Dorn heraus zu ziehen. Doch du siehst ja, wie diese
Versuche geendet haben.“ Efira blickte berede in die Runde ihrer Ameisenarmee. „Und
da habt ihr mich einfach verwandelt? Ihr könnt doch nicht einfach kommen und
mich schrumpfen. Was ist, wenn ich euch nicht helfe?“, langsam siegte die Wut
über meine Angst, so dass ich sogar mit den Fuß aufstampfte. Dabei hatte ich
das schon seit Jahren nicht mehr getan. Beruhigend hob die Ameisenkönigin ihre
Hand und bat mich, mich zu setzen. Ich versuchte noch immer die Situation zu
erfassen. Konnte das alles wirklich wahr sein?
„Wir wollen
dir wirklich nichts Böses. Ihr Menschen bezeichnet uns auch als die Polizei des
Waldes. Wir halten normalerweise die Wälder sauber und sorgen für eine
natürliche Ordnung. Hier im Tierpark kümmern wir uns auch um die Tiere in den
Gehegen. Doch nun stehen wir vor einem schier unlösbaren Problem. Bitte, du
bist unsere letzte Hoffnung! Versuch es wenigstens.“ Bittend blickten mich die
Ameisen an. „OK. Sagen wir einmal, ich träume nicht und all dies hier ist wahr.
Warum ausgerechnet ich? Wie könnt ihr euch sicher sein, dass ich helfen werde?“
Lächelnd blickte mich Efira an. „Oh, du hast dir eine kindliche Unbeschwertheit
bewahrt und bist dadurch noch immer sehr empfänglich für Träume und Fantasien. Es
hätte genauso eine deiner Freundinnen treffen können. Die Verwandlung bewirkt
auch, dass du die Sprache der Tiere verstehst, damit wir uns mit dir
verständigen können. Mit deinen Menschenhänden ist es einfacher, den Dorn zu
greifen und heraus zu ziehen. Und in deiner jetzigen Größe ist es dir überhaupt
erst möglich ihn zu erkennen. Meine Freundin leidet große Schmerzen. Bitte hilf
ihr.“
So herzlos
konnte ich nun auch nicht sein und ich liebte Kattas. Diese süßen Lemuren mit
ihrem gestreiften langen Schwänzen und den übergroßen Äuglein. Wenn dies alles nur
ein Traum war, was sollte mir da schon passieren. Also gab ich – noch zögerlich
– meine Zustimmung zu diesem Unternehmen. „Gut, bringt mich zu eurer Freundin
und ich werde sehen, was ich machen kann.“
Über ein
weiteres verschlungenes Tunnelsystem gelangten wir zu dem Gehege der Kattas. Im
Kattagehege herrschte ein heilloses Durcheinander. Das Bild, welches sich mir
bot, erschreckte mich zutiefst. Was war nur aus dem sonst so sanften und süßen
Tierchen geworden. Ein riesiges kreischendes Fellbündel raste auf mich zu. Eine
der übergroßen Tatzen hätte mich fast unter sich zermalmt. Geistesgegewärtig
zogen mich meine Begleiter gerade noch rechtzeitig aus der Gefahrenzone. Aus
relativ sicherer Entfernung erfasste ich die Situation. Eines der Tierchen
sprang aufgeregt kreischend zwischen den Gitterstäben hin und her.
Zwischendurch leckte und biss es verzweifelt an seiner rechten Vorderpfote
herum, nur um sogleich wieder unkoordiniert herumzuspringen. Wie sollte ich da
nur unbeschadet in die Nähe des verletzten Tieres gelangen? Doch die Ameisen
krabbelten unerschrocken am Schwanz des Kattas hinauf bis zu den Ohren und
flüsterten ihm etwas zu. Langsam beruhigte sich der kleine Lemur, so dass ich
mich näher heran wagte. Große schmerzerfüllte Augen blickten mich hoffnungsvoll
an. Eine große Welle voller Mitleid mit dem armen Tierchen überflutete mich.
Egal wie, ich musste ihm einfach helfen. Und da entdeckte ich auch schon den
Übeltäter. Ein winziger kleiner Dorn steckte zwischen den rechten vorderen Zehen.
Noch einmal holte ich tief Luft, ergriff den Dorn und zog so fest ich konnte.
Es ruckelte kurz und ich hielt den Dorn in der Hand. Vor Freude klatschten die
Ameisen in ihre Hände und das Kattamädchen sah mich dankbar an. Es leckte noch
einmal kurz über die verbliebene Wunde, sprang auf und hangelte sich zu seinen
Freunden. Es war ein schönes Gefühl geholfen zu haben.
Gemeinsam mit
den Ameisen verließ ich das Gehege auf demselben Weg, auf dem wir gekommen
waren. Konnte ich nun wieder nach Hause in meine eigene Welt? Die Ameisen
führten mich zurück zu Efira, die mir mit Freudentränen in den Augen dankte.
„Wenn du jemals selbst in Not sein solltest, werden wir da sein und dir helfen.“
Bevor ich
noch etwas entgegnen konnte, drehte sich die Welt um mich herum erneut und aus
weiter Ferne vernahm ich leise rufende Stimmen. „Hallo, Aufwachen!“, sanft rüttelte
mich eine Hand an der Schulter. „Wo warst du denn nur mit deinen Gedanken? Sind
unsere neuen Ideen so langweilig?“ „Nein, nein versicherte ich rasch.“, und
schüttelte noch einmal den Kopf. Ich musste erst einmal zu mir kommen. Aus den
Augenwinkeln sah ich gerade noch, wie einige winzige rote Ameisen von der
Picknickdecke huschten. Die größte der Schar drehte sich noch einmal um und winkte
mir zum Abschied zu. Hatte ich etwa doch nicht geträumt? Leise vor mich hin
lächelnd wandte ich mich zu meinen Freundinnen um.

by Anja Schmidt
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