Rezension “Iris Grace: Bilder malen tausend Worte. Die Geschichte meiner autistischen Tochter” von Arabella Carter-Johnson – Bastei Lübbe


Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe (Lübbe Ehrenwirth); Auflage: 1 (9. September 2016)
Sprache: Deutsch
übersetzt von Bernhard Josef
ISBN-10: 3431039626
ISBN-13: 978-3431039627
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Originaltitel: Iris Grace
D: 22,00 Euro

Inhalt:

Wenn Iris malt, verliert sie sich ganz in den Farben und Formen. Doch bevor sie zu einem Wunderkind wurde, war sie vor allem ein Kind, das ein Wunder brauchte. Denn Iris Grace hat Autismus. In den ersten Lebensjahren war sie unerreichbar, lebte in ihrer eigenen Welt, die Familie verzweifelte. Dann entdeckte ihre Mutter, wie fasziniert Iris mit Pinsel und Farbe umging. Und schließlich war es die kleine Katze Thula, die die Verbindung zwischen Iris und der Außenwelt herstellte. Eine zauberhafte, wahre Geschichte.

Quelle: Amazon

Die Autorin:

Arabella Carter-Johnson ist Iris Graces Mutter und freischaffende Fotografin. Sie wuchs in der sanften Hügellandschaft des Leicestershire auf. Nach einem längeren Aufenthalt in Frankreich zog sie 2008 mit ihrem Mann Peter-Jon dorthin zurück. Die Geburt ihrer Tochter Iris Grace 2009 änderte ihr Leben von jetzt auf gleich und für immer. Arabella hat ihre große gemeinsame Lebensreise in Fotos und Tagebucheinträgen festgehalten und erzählt ihre Geschichte in ihrem ersten Buch.

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Rezension:

Es liegt schon eine Weile zurück, da wurde mir dieses Buch von Arndt von Astrolibrium und Bini von Literatwo ans Herz gelegt. Es wanderte damals direkt auf die Wunschliste, musste dann aber aufgrund seines Preises eine geraume Weile darauf warten, bei mir einzuziehen. Anschließend brauchte es erneut Zeit, bis ich mir die Muse nahm, mit Grace Bekanntschaft zu schließen. Nachdem ich nun das Gelesene verarbeitet habe, sitze ich an dieser Rezension und fürchte, nicht die richtigen Worte zu finden. 
Fast scheint es, dass ich mich in der Annäherung an dieses Buch ein wenig wie Iris Grace verhalte und langsam und vorsichtig vorgehe.

Ich habe gelernt, dass es sehr unterschiedliche Spektren von Autismus gibt. Das Asperger-Syndrom ist wohl die bekannteste und nicht erst seit der Verfilmung von “Fuck ju Göthe”. Obwohl hier die Erkrankung meiner Meinung nach arg ins Lächerliche gezogen und verharmlost wird. Für diesen Film akzeptabel, aber dennoch irreführend.

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Über die von Arabella Carter-Johnson ins Leben gerufene Seite Iris findet ihr folgende Definition zu Autismus:

“Autismus ist eine lebenslange Entwicklungsstörung, die beeinflusst, wie eine Person mit anderen Menschen kommuniziert und sich auf sie bezieht. Es beeinflusst auch, wie sie die Welt um sie herum sinnvoll machen.

Es ist eine Frequenzbedingung, was bedeutet, dass alle Menschen mit Autismus bestimmte Schwierigkeiten haben, aber ihr Zustand wird sich auf jede von ihnen unterschiedlich auswirken. Einige Menschen mit Autismus sind in der Lage, ein relativ unabhängiges Leben zu führen, aber andere haben möglicherweise begleitende Lernschwierigkeiten und benötigen eine lebenslange fachliche Unterstützung. Menschen mit Autismus können auch über oder unter Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Berührungen, Geschmäckern, Gerüchen, Licht und Farben leiden.

Autismus betrifft derzeit 1 von 100 Menschen in Großbritannien.

Es gibt etwa 100.000 Kinder mit Autismus in Großbritannien, mit etwa einer halben Million Familienmitglieder, die direkt von der Krankheit betroffen sind.

Frühe Intervention, Bildung und Unterstützung sind entscheidend, damit Kinder und Jugendliche mit Autismus ein erfülltes Leben führen können.

Iris Grace befindet sich sehr weit im Spektrum dieser Krankheit gefangen und dementsprechend bauen sich vor ihr und ihrer Familie anfangs sehr große, manchmal unüberwindlich erscheinende Probleme auf.

Als werdende Eltern freut man sich auf den Nachwuchs, möchte nur das Beste und entwickelt Träume von der gemeinsamen Zukunft als Familie. Jeder weiß, dass sich mit einem Kind das bisherige Leben verändert. Prioritäten werden neu verteilt und der Blick auf die Umgebung wird ein anderer.

Anfangs hält Arabella Carter-Johnson die Probleme mit ihrem Baby für normal, so wie die, die alle Eltern mit einem Neugeborenen irgendwann einmal durchmachen. Doch nehmen diese kein Ende. Es gibt keine Erholungsphasen, keine Besserung und auch die Kraftreserven versiegen.
Es ist ein schlimmer Moment zu erkennen, dass etwas nicht stimmt, sich die gestellte Diagnose einzugestehen, diese zu akzeptieren. Doch ist es auch eine Erklärung und den Eltern von Iris fällt eine erste Last von den Schultern. Mit der Akzeptanz, dass Iris Grace an Autismus leidet, eröffnet sich für ihre Eltern der Weg, damit umgehen und ihrem Kind helfen zu können. Beeindruckt hat mich die Stärke von Arabella Carter-Johnson und ihrem Mann. Sie hadert mit dem Schicksal, gibt aber nie auf. Am Ende einer Sackgasse dreht sie um und sucht nach neuen Wegen und Möglichkeiten. Die Unterstützung ihres Mannes ist ihr sicher und immens wichtig. Sie akzeptieren ihr Kind so, wie es ist.



“…Mit einem autistischen Kind Kontakt aufzunehmen, mit ihm interagieren zu wollen, ist manchmal wie einen fernen Sender am Radio einzustellen, aber hat man einmal die exakte Frequenz zwischen all dem Rauschen und Knistern gefunden, ist der Empfang glasklar…”

Durch die Liebe und Fürsorge ihrer Familie entwickelt sich Iris Grace zu einem lebensfrohen glücklichen Kind, das sogar beginnt, die engere Nähe anderer Personen zuzulassen bzw. zu genießen. Ein Schlüsselmoment hierfür war die Aufnahme von Thula in den Kreis der Familie.

Tiere werden schon lange zu Therapiezwecken eingesetzt, dennoch kommt es auch hier auf die richtige Chemie zwischen Mensch und Tier an. Im Fall von Iris Grace war es nicht die anfangs erhoffte Freundschaft zu einem Hund, sondern die zu einer Katze. Hier habe ich sehr viele neue Informationen zu der Rasse Main Coon bekommen. Die Symbiose zwischen beiden ist faszinierend.
Iris hat eine wunderbare Entwicklung durchgemacht und entgegen aller Prognosen sogar sprechen gelernt. Sie verfügt über eine hohe Intelligenz. Ohne die Liebe, den Willen und die Kraft ihrer Eltern, wäre ihr Weg sicher anders verlaufen.

“…Timing ist alles im Leben…Die Wahl des richtigen Augenblicks unterscheidet zwischen Erfolg und Misserfolg. Auch das Leben mit Autismus kann eine Frage des Timings sein…”

Das Buch ist kein Jammertal. Die Autorin schreibt offen und ehrlich über ihre Liebe zu ihrer Tochter, ihre Wut auf das Schicksal, über Verzweiflung, Scheitern und Erfolge, Traurigkeit und Freude, Glück und Hoffnungen. Sie gibt mit ihrem Buch anderen Eltern Hoffnung und zeigt Wege auf. Zwischen allen Zeilen spürt man die Liebe zu ihrem kleinen Mädchen.

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Faszinierend ist das Gefühl, das Iris Grace mit ihren Bildern hervorruft. Das Zusammenspiel der Farben in ihren Bildern und ihre Technik, die nicht auf ein so kleines Mädchen schließen lassen, haben mich sehr berührt. Ihre Bilder drücken die Gefühle aus, die dieses kleine Mädchen auf andere Weise nicht zeigen oder in Worten verpacken kann.  Ja, ich würde mir diese Bilder auch an die Wand hängen.

Die Welt mit anderen Augen betrachten und einzelne Momente genießen. Weit weg von der Hektik und Schnelligkeit des Lebens unsere Welt entdecken. Sich an Erfolgen erfreuen und Niederlagen als neuen Ansporn nehmen. Kleine Schritte planen und manchmal einen Schritt voran, aber dafür wieder drei Schritte rückwärtsgehen – dennoch nie aufgeben. Diese Botschaft, Verständnis und sehr viel Hoffnung für betroffene Eltern vermittelt das Buch.









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5 Antworten zu Rezension “Iris Grace: Bilder malen tausend Worte. Die Geschichte meiner autistischen Tochter” von Arabella Carter-Johnson – Bastei Lübbe

  1. fotobus sagt:

    Das Amazon-Zitat ist aus meiner Sicht als Autist der Grusel.Es gibt übrigens keine Spektren, Autismus ist EIN Spektrum. Und das ersetzt die bislang unterteilten Diagnosen, weil sie eben nicht klar unterteilbar sind, weshalb es sinnlos ist, das Spektrum jetzt wieder in die alten Teile zu zerlegen."Fack ju Göhte" muss auch eine absolute Katastrophe gewesen sein, nach dem was ich darüber las.Autismus ist keine Krankheit/Erkrankung. Man erkrankt nicht, man wird so geboren.Autisten leben nicht in ihrer eigenen Welt, sind nicht in "ihrer Krankheit gefangen". Das impliziert, dass Autismus schlecht ist und entfernbar. Aber er ist Teil des Menschen.Daher lehnen viele Autisten auch Person-First-Language (Mensch mit Autismus) ab und bevorzugen schlicht "Autist".Ob das Mädchen an Autismus _leidet_, kann übrigens nur sie selbst sagen, nicht ihre Eltern.Für mich passen drei Zitate überhaupt nicht zusammen.Diese beiden:"ein Kind, das ein Wunder brauchte. Denn Iris Grace hat Autismus.""Frühe Intervention […] sind entscheidend, damit Kinder und Jugendliche mit Autismus ein erfülltes Leben führen können.""Mit diesem:"Sie akzeptieren ihr Kind so, wie es ist."Das widerspricht sich. Zumal mit "frühen Interventionen" sehr oft menschenverachtende ABA gemeint ist.#NoABA #ABAisAbuseIch hoffe, das muss(te) das Kind nicht erleiden. In Buchausschnitten lese ich leider von Belohnungen, Bestrafungen, Vorlieben zur Motivation, Wichtigkeit von Blickkontakt … Ich hab aber gerade keine Zeit, das genauer anzusehen.

  2. Zwiebelchen sagt:

    Bezüglich Autismus möchte ich weiterhin nur an der Oberfläche kratzen, da mir persönlich einfach das fundamentale Wissen fehlt, um in die Tiefe gehen zu können.Die Eltern von Iris beschreiben in diesem Buch ihre persönlichen Erfahrungen und hierzu gehören neben den Erfolgen auch gemachte Fehler. Es ist kein allgemeiner Leitfaden.Diesen kann man einfach nicht geben, da jeder Mensch, ob Autist oder nicht, individuell ist und ebenso reagiert. Diese Erfahrung musste ich vor einigen Jahren selbst machen, als meine zweijährige Tochter massive Neurodermitisschübe hatte. Auch wir haben Vieles ausprobiert und fast ein Jahr gebraucht, um den für uns passenden Weg zu finden.Ich denke, man sollte das Buch komplett lesen und nicht einzelne Sätze oder Passagen herauspicken und kritisieren. Belohnungssysteme gibt es in jeder Kindererziehung irgendwann und auch Iris musste lernen, wo bestimmte Grenzen liegen. Wenn man das Buch liest, sieht man, wie viele Wege ihre Eltern ihr bereits eröffnen konnten. Akzeptanz und einen Menschen so anzunehmen, wie er ist, hat nichts damit zu tun, etwas laufen zu lassen. Es hilft, die richtige Unterstützung und Förderung zu finden. Genau das ist hier passiert. Nebenbei, ich liebe die Filme von „Fuck ju Göthe“, aber sie bedienen einen gänzlich anderen Anspruch. Ich habe diese nur ins Feld geführt, da dadurch Asperger einer größeren Leserschar als Begriff etwas sagt.

  3. fotobus sagt:

    "Akzeptanz und einen Menschen so anzunehmen, wie er ist, hat nichts damit zu tun, etwas laufen zu lassen."Das ist richtig. Es gibt allerdings eine Menge zwischen "laufen lassen" und ABA."Belohnungssysteme gibt es in jeder Kindererziehung irgendwann" ABA ist mehr als ein Belohnungssystem. Aktion Mensch z. B. fördert keine ABA-Projekte mehr, seit Autisten fast zwei Jahre gegen ABA gekämpft haben.

  4. Zwiebelchen sagt:

    Ich denke, wenn du dir ein umfassendes Bild machen möchtest, dann solltest du das Buch in seiner Gesamtheit lesen. Ich möchte nicht einzelne Textpassagen zerreißen und aus dem Kontext des kompletten Buches nehmen. Desweiteren fehlt mir das nötige Fachwissen für eine umfassende Diskussion. Auch würde es diesen Rahmen überschreiten und ich möchte kein neues Buch schreiben.Ich empfand das Gelesene als sehr mutig, offen und ehrlich. Sie weckt mit ihren Zeilen Verständnis für Familien in ähnlichen Situationen, gibt Hoffnung und Ideen. Die Geschichte von Iris zeigt auch, was die Verbundenheit zu Thula alles bewirken konnte. Ein interessanter Aspekt.Sicher haben Sie anfangs alles ausprobiert, was zu dieser Zeit Praxis war und von Ärzten empfohlen wurde.Die Eltern von Iris haben Fehler begangen – wie in jeder andere auch, aber auch gelernt, was ihrem Kind gut tut und was nicht. Sie haben sich von bestimmten Vorgehensweisen genau aus diesen Gründen getrennt neue Wege beschritten. Aus allen Sätzen spricht eine tiefe Liebe zu Iris. Sie investieren ganz viel Kraft und Zeit, um ihr ein erfülltes glückliches Leben zu bereiten. Wenn du das Buch liest bekommst du erst das umfassende Bild. Wie schon geschrieben, einzelne Passagen zu zerpflücken bringt nichts.

  5. Irve sagt:

    Hallo Anja,das Buch kenne ich nicht, aber es hat definitiv mein Interesse geweckt. Mein älterer Sohn ist auch Autist und es scheint sich mal wieder zu bestätigen, dass sich ein und dieselbe Diagnose in verschiedenen Merkmalen und Ausprägungen zeigt.Bei uns war es so, dass Sohnemann erst sehr lange nachdem ich selbst mir sicher war, dass er Autist ist, diese Diagnose erhalten hat. Und wir waren froh darüber, denn so hat er endlich all die Hilfe erhalten, die er braucht, um sein gewohntes Leben im Schulbereich weiterführen zu können. Er fühlt sich wohl in der Klasse und durch die begleitende I-Helferin, verschiedene Nachteilsausgleiche und vor allem überwiegend sehr verständnisvolle und unterstützende Lehrer kann er dort im von ihm gewollten Umfeld bleiben.Das ist sicher so ein Knackpunkt, das Glücklichsein eines Autisten. Unser Sohn hat einen ganz anderen Glücksbegriff, teils ganz andere Empfindungen und Erwartungen als wir selbst und ich glaube, das Schwierigste für die Eltern ist es, nicht mit den eigenen Werten und Vorstellungen zu mischen und die möglicherweise anderen Wünsche und Ziele des Kindes zu akzeptieren und unterstützen. Wie auch bei Kindern ohne Störungsbild, wie es so unsympathisch formuliert wird, muss man natürlich hier ebenfalls abschätzen und die eigene Lebenserfahrung ins Feld werfen. Passen Neigungen und Leistungsvermögen zum Berufswunsch und der Vorstellung vom späteren Leben? Auch mit Autisten kann man kommunizieren und herausfinden, was sie empfinden und gemeinsame Lösungen suchen und Pläne fassen. Bei uns ist das, wenn es (oft) verbal nicht geht, über Bildergeschichten, selbst gemalte Comics oder erdachte Geschichten möglich. Wenn alle zusammenhalten, kommt man weiter, als Außenstehende oft glauben.Die andere Sichtweise, die Sohnemann oft hat, war auch schon manchmal sehr bereichernd, und man lernt, die eigenen Prioritäten und Ansichten zu überdenken.Zum Urteilen über das Buch und einzelne Aussagen dazu (bezugnehmend auf vorherige Kommentare): Wenn man etwas aus dem Zusammenhang reißt, erhält es dadurch möglicherweise eine andere Aussagekraft als eigentlich angedacht. Liebe Grüße,Heike…Kennst du das Buch "Buntschatten und Fledermäuse"? Das Buch hat ein Autist geschrieben, es subbt leider noch bei mir, wird aber über kurz oder lang befreit.

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