Rezension „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“ von Birte Müller – Verlag Freies Geistesleben

Gebundene Ausgabe: 247 Seiten
Verlag: Freies Geistesleben; Auflage: 1 (1. März 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3772527884
ISBN-13: 978-3772527883
D: 19,90 Euro

Inhalt:

Was passiert, wenn eine berufstätige Mutter zusätzlich zu ihrem Alltag mit ihrem behinderten Sohn Willi und ihrer hyperkreativen Tochter Olivia auch noch zwanghaft alle Kostüme selbst nähen und im Herbst 10 Kilo Kürbis einkochen muss? Dann verliert selbst eine Kontroll-Mutter mal die Kontrolle. »Wie schaffst du das bloß alles?«, wird sie oft gefragt. Aber die Antwort liegt auf der Hand: Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg!

Quelle: Amazon

Die Autorin:

Birte Müller wurde 1973 in Hamburg geboren, wo sie auch heute lebt und arbeitet. Schon als Kind verbrachte sie den größten Teil ihrer Zeit mit Malen, Basteln Häkeln und Geschichtenschreiben. Nach der Schule verschlug es sie eine Weile nach Australien, bis sie sich dazu entschloss etwas Unvernünftiges zu lernen. So studierte sie Kinderbuchillustration an der HAW in Hamburg. Zwischendurch studierte sie noch etwas freie Malerei in Mexiko und ihre Diplomarbeit musste sie unbedingt in einem winzigen Bergdorf in Bolivien machen.

Heute sind Birte Müllers Bilderbücher in über vierzehn Sprachen übersetzt und sie ist rund um den Globus bekannt für Ihre Lesungen und Workshops mit Kindern.

Ihre Illustrationen konnte man in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In-und Ausland sehen, z.B. auf der der Kunsttreppe in Hamburg, der Buchmesse in Bologna oder auf der Biennale in Bratislava.

Birte Müllers toller Sohn Willi kam 2007 mit dem Down-Syndrom zur Welt und ihre süße Tochter Olivia nur kurze Zeit später mit dem Normal-Syndrom. Seitdem erscheinen nicht mehr so viele Bücher von ihr.

Zusätzlich hat Birte Müller zum Glück auch noch einen VW-Bus fanatischen Ehemann, Eltern die ihr notfalls die Wäsche waschen, ein spießiges Reihenhäuschen, eine Vorliebe für Erdbeeren und zweitklassigen Fußball (sie ist St. Pauli Fan) und leider keine Zeit mehr zum Marathon laufen.

Rezension:

„…Mein behinderter Sohn Willi, der den Sinn und Zweck von Wettkämpfen (und von überflüssigen Wortschöpfungen) überhaupt nicht begreift, ist bei jedem Wettlauf einfach immer der, der am meisten Spaß hat!“

Birte Müller ist eine ganz normale Mutter, die nur das Beste für ihre Kinder möchte. Ihr Alltag ist wie der jeder Mutter und doch muss alles um vieles effektiver organisiert und geplant werden. Willi ist der Sonnenschein im Haus, verlangt aber auch ein großes Pensum an Kraft, Verständnis und Toleranz. Willi wurde mit Trisomi 21, besser bekannt als Down-Syndrom, geboren und sein Leben unterliegt vielen Einschränkungen, die sich auf seine Eltern und seine jüngere Schwester auswirken.
Doch hat er Eltern, die ihn lieben, wie er ist und ihn in seiner Entwicklung unterstützen.

„He, du sollst dein Kind doch so lieben, wie es ist!“

Birte Müller hat mit ihrem Buch eine wundervolle Liebeserklärung an ihre beiden Kinder vorgelegt. Sie beschreibt, wie sich ihr Leben und Denken durch Willi verändert hat, wie sich ihre Tochter unter dem Einfluss ihres großen Bruders zu einer sehr eigenständigen, willensstarken Persönlichkeit entwickelt.

„…denn bei Worten wie – Dann können Sie eben mit so einem Kind einfach nicht hierhergehen – könnte ich nur noch in Tränen ausbrechen. Manchmal kommt es mir so vor, als sei mit Willi eben gar nichts einfach und ganz besonders nicht das Nicht-Hierhergehen nicht…“

Es ist ein ehrliches Buch über die Höhen und Tiefen, die durch Willis Behinderung den Alltag der Familie prägen. Dennoch jammert Birte Müller nicht. Mit einer großen Portion Humor zeigt sie, wie schön, aber auch beschwerlich dieses Leben mit ihrem Sohn ist. Sie berichtet von Hoffnungen, falschem Ehrgeiz, Rückschlägen, Zweifeln, kleinen Freuden und ihrer tiefen Liebe zu beiden Kindern. Sich selbst betrachtet sie dabei häufig mit einem Augenzwinkern.
Es war für mich interessant mit ihr, ihrem Mann und den Kindern durch die Jahre zu gehen und zu beobachten, wie sich Sichtweisen und Handlungen mit den gemachten Erfahrungen verändern. Dieses Buch ist hoffentlich auch eine Hilfe, um Kinder wie Willi besser verstehen zu können und sich ihnen zu öffnen.

„Ich muss mich selten für Willis Verhalten rechtfertigen (für seine Existenzdagegen schon öfter),…“

Erschreckt hat mich, dass sich Willis Eltern nicht nur einmal dafür rechtfertigen mussten, dass Willi überhaupt zur Welt gekommen ist. Dies auch vor dem Hintergrund meiner letzten Rezension zu „Nebel im August“. Hier wäre Willi als unwert zu leben eingestuft worden und eine Zukunft ungewiss bzw. nie möglich gewesen. Leider trägt unsere Gesellschaft dieses Gedankengut noch immer mit sich herum.

„Und ein Blick in Willis Augen lohnt sich immer, denn sie strahlen so schön!“

Ich selbst habe drei Kinder und liebe sie über alles. Bei keiner Schwangerschaft habe ich eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen. Wir hatten Glück und die Kinder kamen gesund zur Welt. Doch hätte ich auch nie eine Entscheidung gegen sie treffen können. Daran hätte das Wissen um eine Behinderung nichts geändert.
Als Außenstehender ist es da leicht zu sagen. „Ich hätte es wegmachen lassen.“ Birte Müller ist froh, dass Willi ihr Leben bereichert, auch wenn er ihr manchmal alles an Kraft abverlangt.

„Das Tolle an Willi ist ja gerade, dass er immer im Hier und Jetzt lebt!“

Manche Menschen fühlen sich durch Kinder oder Erwachsene mit Down-Syndrom gestört und zeigen für ihre Eigenheiten keinerlei Toleranz. Dennoch ist das Verhalten „gesunder Mitmenschen“ oftmals wesentlich weniger akzeptabel. Hier nur ein kleines Beispiel:

Im letzten Jahr besuchten wir in Hamburg das Musical „König der Löwen“. In der Reihe vor uns saßen vier Mittzwanziger und unweit daneben eine Gruppe von behinderten Jugendlichen (u. a. mit Down-Syndrom). Die Jugendlichen verfolgten aufmerksam und sichtlich gebannt die Vorstellung. Dagegen störte die andere Gruppe „normaler“ Zuschauer die Vorstellung durch lautes Gequatsche, Albernheiten und Herumhampeln. Nun sagt mir, wer sich hier in der Öffentlichkeit nicht Gesellschaftskonform benommen hat.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen. Es macht betroffenen Familien Mut. Zeigt, dass man nicht jeden Weg mitgehen muss, sich auf seine Kinder einlassen und sie dort abholen sollte, wo sie stehen. Kindererziehung – egal ob mit oder ohne Behinderung – ist kein Konkurrenzkampf.

„Manchmal brauchen Kinder auch einfach mehr Zeit, und es bringt gar nichts, sich vorher zu sehr verrückt zu machen“

Das Leben ist nicht immer fair, doch wir können es nach unseren Wünschen mitgestalten. Ein Weg ist, Menschen, die „anders sind“ zu akzeptieren und uns vor Berührungen mit ihnen nicht zu fürchten.


Ein bisschen mehr Toleranz und Offenheit kann viel bewirken und unser Leben enorm bereichern.

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2 Antworten zu Rezension „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“ von Birte Müller – Verlag Freies Geistesleben

  1. Beluri sagt:

    Guten Abend,eine sehr schöne Rezension zu einem sehr interessanten und wahrscheinlich bewegenden Buch. Muss ich mir merken und ggf. mal lesen. Es ist sicherlich nicht einfach mit einem behinderten Kind zu leben, aber das Birte ihren Weg geht und trotz aller Hindernisse und Schweirigkeiten ihren Humor nicht verloren hat, ist wirlich schön. Vielen, Dank für die ausführliche Rezension. Mit den ganzen Zitaten, den EInblicken und den Kommentaren hast du mir ein paar schöne Lesemomente bereitet.Weiter soViele GrüßeBeluri von Drachenleben

  2. Zwiebelchen sagt:

    Hallo BEluri,danke dir. Es wäre schön, wenn das Buch so noch in viele andere Regale wandert. Es ist interessant und unterhaltsam zugleich. Ich denke, es trifft gerade dadurch, dass Birte nicht jammert und sich selbst mit einer großen Portion Humor betrachtet, ins Herz.Liebe GrüßeAnja

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