Rezension “ Die uns lieben“ von Jenna Blum – Aufbau Verlag

Gebundene Ausgabe: 518 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 1 (13. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3351035888
ISBN-13: 978-3351035884
D: 19,95

Inhalt:

Die Frau des Offiziers Fünfzig Jahre lang hat Trudys Mutter kein Wort über ihre Vergangenheit verloren. Doch es gibt ein verstörendes Souvenir, tief vergraben in der Wäscheschublade: ein Familienporträt, auf dem sie und ihre kleine Tochter gemeinsam mit einem Nazi-Offizier zu sehen sind, dem Obersturmführer von Buchenwald. Jenna Blums preisgekrönter Roman war ein Bestseller in zahlreichen Ländern. Ihre universelle Geschichte von Schuld, Liebe und Vergebung wird für die große Leinwand verfilmt. Weimar, 1940. Ledig, schwanger und von ihrem Vater vestoßen, kommt die 19-jährige Anna bei der Bäckerin Mathilde unter. Mathilde erhält Mehl, Zucker und Butter von den Nazis, um das Offizierskasino von Buchenwald mit Gebäck zu beliefern. Gleichzeitig schmuggeln die beiden Frauen Brot ins KZ und geheime Botschaften hinaus. Als Mathilde zwei Jahre später auf frischer Tat ertappt wird und der Obersturmführer Heinz von Steuern in der Bäckerei auftaucht, sieht Anna nur einen vezweifelten Ausweg, um sich und ihre kleine Tochter Trudy zu retten. Minneapolis, 1996. Ein paar diffuse Erinnerungsschnipsel, ein verstecktes Familienfoto und ein unauslöschliches Gefühl der Schuld sind alles, was Trudy mit ihrem Geburtsort Weimar verbindet. Erschüttert vom Tod ihres Stiefvaters und erdrückt von der Last einer Vergangenheit, die ihre Mutter hinter eine Mauer aus Schweigen verbannt hat, beginnt die Geschichtsprofessorin endlich mit Recherchen zum Alltag nichtjüdischer deutscher Frauen im Dritten Reich. Nach und nach legt sie dabei die erschütternde Geschichte ihrer Mutter frei, die so ganz anders ist, als sie es erwartet hat. Jenna Blums einfühlsamer und sorgfältig recherchierter Roman, der sich zwei Jahre auf der New York Times-Bestenliste hielt, erzählt von einer verbotenen Liebe, vom zwiespältigen Wesen der Schuld, vom Recht auf Vergessen und von einer außergewöhnlichen Mutter-Tochter-Beziehung. „Die packende Geschichte zweier Frauen, die mit der Last und Verantwortung der Erinnerung ringen.“ The Boston Globe „Ein eindringlicher Roman, der das Herz berührt und das Gewissen aufruft.“ Independent on Sunday

Quelle: Amazon

Die Autorin und Übersetzerin:

Jenna Blum, geboren 1970, unterrichtet kreatives Schreiben und ist Mitarbeiterin verschiedener Zeitschriften. Ihre deutschen und jüdischen Wurzeln brachten sie auf die Frage, wie sie selbst sich zu Zeiten des Nazi-Regimes verhalten hätte. So entstand, nach jahrelangen Recherchen und zahllosen Interviews, die sie im Auftrag von Steven Spielbergs Survivors of the Shoah Foundation führte, ihr beeindruckendes Debüt „Die uns lieben“.

Yasemin Dinçer, geb. 1983, studierte Literaturübersetzen und hat u. a. Daphne Kalotays »Die Tänzerin im Schnee« übersetzt.

Quelle: Amazon

Rezension:

Ich habe mich seit langem nicht mehr so schwer damit getan, eine Rezension zu verfassen und diese daher auch monatelang vor mir her geschoben.
Die Inhaltsbeschreibung und das wirklich wunderbare Cover haben mich dazu bewogen, das Buch im Rahmen einer Leserunde zu lesen. Hinzu kam der Bezug zu Weimar, meiner Heimatstadt.
Anfangs dachte ich noch, dies könnte eine wundervolle Ergänzung zur Rubrik „Gegen das Vergessen“ werden, da die Autorin die andere wenig beachtete Seite des 2. Weltkrieges beleuchtet.
Wie kam die normale deutsche Bevölkerung mit den Gräueltaten der Nazis klar, wie gestaltete sich der gutbürgerliche Alltag in Zeiten des Krieges? usw.
Leider erfüllte dieses Buch meine Erwartungen kaum und lies mich nach dem Lesen mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Dabei ist die Grundidee absolut interessant und Stellenweise sind auch sehr gute Ansätze zu finden. Dennoch fehlt es an einer glaubwürdigen Umsetzung. 
Szenerien und Personen werden klischeehaft beschrieben und in Schubladen verfrachtet. Jenna Blum vermittelt dem Leser das amerikanische Denken über die Deutschen, was ihre familiären Wurzeln nicht zu verhindern wissen. Deutsche sind korpulent, vollbusig, unheimlich ordentlich, steif und haben Kuckucksuhren in der Wohnung hängen – um nur einige Beispiele anzuführen, die sich wie ein roter Faden durch die komplette Handlung schlängeln. Es wird zwar auch aufgezeigt, dass es unter der normalen bürgerlichen Bevölkerung genug Menschen gab, die sich dem Widerstand anschlossen und ihr Leben für ihre Überzeugung aufs Spiel setzten bzw. opferten, doch diese Passagen sind mir zu flüchtig. 
Auch während der Interviewphase in der Gegenwart, werden die jüdischen Überlebenden und Opfer als gut und die Deutschen als uneinsichtig, nazistisch und negativ dargestellt. 
Die gesamt Darstellung ist mir zu einseitig und oberflächlich. 
Anna ist zu Beginn ein naives junges Mädchen, das die erste Liebe erlebt und von da an in einen Strudel der Ereignisse gerät.
Anna nimmt eine Art Zwischenrolle ein. Auch wenn man am Ende ihr Wesen recht gut verstehen und ihre Entwicklung nachvollziehen kann, wird auch sie hauptsächlich als unnahbar und kalt dargestellt. Nur Ansatzweise bekommt man ein Gespür bzw. den Zugang zu ihren Gefühlen.
Das Verhältnis von Anna und dem Obersturmführer wird rein auf sexuelle Gelüste und Brutalität reduziert. In wenigen kurzen Momenten kann man einen nebulösen Blick auf die Gedankenwelt dieses Mannes und seine Beweggründe bzw. Vergangenheit erhaschen. Dennoch hatte ich am Ende ein flaues Gefühl im Magen. Als Verallgemeinerung würde ich nach diesem Buch denken: Alle Nazis waren geistig gestört, hatten eine schlimme Kindheit und besaßen nicht unbedingt geistig hohes Niveau.“ Diese eingleisigen Beschreibungen haben mich immer wieder enorm gestört. 
Das Anna alles getan hätte, um sich und vor allem Trudy zu retten ist wiederum greifbar und verständlich. Auch wenn ich nicht all ihre Handlungen realistisch finde, gibt es sicher viele Dinge, die ein Mensch in Ausnahmesituationen tun würde, die wir im hier und jetzt nur mit Kopfschütteln betrachten würden.
Das Handlungsgeschehen wechselt zwischen dem hier und heute in Amerika und der Vergangenheit zu Zeiten des 2. Weltkrieges. Diese Zeitsprünge sind gut nachvollziehbar und ergänzen sich, so dass ein übersichtlicher nachvollziehbarer Handlungsstrang entsteht. Bei oberflächlicher Betrachtung hat Jenna Blum einen Roman geschaffen, der schockiert, die Nerven aufreibt, fesselt und berührt. Jedoch fehlt die notwendige Tiefe.
Gewöhnungsbedürftig ist auch die textliche Gestaltung. Wörtliche Reden werden ohne Anführungszeichen oder besondere Hervorhebung fließend im Text integriert. Man gewöhnt sich mit der Zeit an diesen recht eigenen Satzbau, aber es erschwert anfangs das Lesen und man konzentriert sich weniger auf den eigentlichen Inhalt. 
Ein großer Anreiz für mich, dieses Buch lesen zu wollen war der Handlungsort Weimar. Ich bin hier aufgewachsen und damit auch automatisch mit der Geschichte von Buchenwald. Im Buch konnte ich aber keine Verbindung zu Weimar herstellen. Auch wenn die Stadt damals noch anders ausgesehen und sich Straßenführungen bzw. Häuserfronten von den mir bekannten unterschieden haben, fehlte mir beim Lesen das Gefühl genau hier in Weimar zu sein.  Es hätte sich um jede beliebige Stadt handeln können. Ich glaube nicht, dass die Autorin hierbei die Absicht verfolgte, den Handlungsort zu verallgemeinern, um eine größere Reichweite zu erreichen und aufzuzeigen, dass alles auch an jedem anderen Ort hätte passieren können. Dagegen sprich auch der explizite Bezug zu Buchenwald.   
Die Beschreibung von Buchenwald dagegen erscheint gründlicher recherchiert und wirkt realer. Hier konnte ich Bezugspunkte finden.
Leider lässt mich das Buch enttäuscht und mit einem fahlen Nachgeschmack zurück.

Kimmy vergibt 3 von 5 Käseecken

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2 Antworten zu Rezension “ Die uns lieben“ von Jenna Blum – Aufbau Verlag

  1. Anonym sagt:

    Man kann ein Buch durchaus als enttäuschend bewerten. Viele schreiben dann einfach nur in ebensolchen Floskeln, die sie im Buch wahrgenommen haben. Du lieferst eines sehr ausführliche Begründung, die es anderen Lesern überlässt, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Das ist strukturierte und greifbare Kritik.Viele Romane über die Zeit des Nationalsozialismus kranken gerade daran, dass sie sehr klischeehaft sind und unmöglich erschienende Liebesgeschichten in den Vordergrund stellen Es wirkt oft wenig nachvollziehbar was man dort liest und es kommt leicht die Vermutung auf, dass sich Autoren an diese Zeit heranwagen, weil die Zeitzeugen langsam verschwinden.Ich vergleiche das gerne mit der Sklaverei in den amerikanischen südstaaten. In der Literatur ist von diesem menschenverachtenden System wenig geblieben. Was geblieben ist, sind unzählige romantische Liebesgeschichten, für die die Sklaverei die Staffage bildet.Und so sehen wir diese Phase der Unterdrückung (die heute noch dafür verantwortlich ist, dass es unglaublich tief verankerte Unruhen in den USA gibt) heute völlig romantisiert und haben vom amerikanischen südstaatler das Bild eines stolzen Aristokraten und Pflanzers, der ehrenvoll in den Untergang getrieben wurde…Es wäre dramatisch, wenn man den Holocaust in 100 jahren durch Liebesgeschichten ebenso sieht… dagegen gilt es anzuschreiben….Liebe GrüßeArndt

  2. Zwiebelchen sagt:

    Ich bin auf deine Leseeindrücke zu diesem Buch sehr gespannt. Vielleicht waren meine vorab angesetzten Erwartungen auch einfach zu hoch…Die Grundidee finde ich noch immer toll und das Buch berührt auch sehr, doch fehlt mir die objektive Tiefe. Die Herangehensweise ist recht einseitig, daher auch die herbe Kritik…

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