Rezension „Öffne mir das Tor zur Welt – Das Leben der taubblinden Helen Keller und ihrer Lehrerin Anne Sullivan“ von Helen E. Waite – Verlag Freies Geistesleben

Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Freies Geistesleben; Auflage: 2 (25. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
Aus dem Amerikanischen von Sabine Gabert
ISBN-10: 3772523722
ISBN-13: 978-3772523724
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 13 – 16 Jahre
D: 15,99 Euro

Inhalt:

Diese beeindruckende Biografie schildert den Lebensweg der taubblinden Schriftstellerin Helen Keller, die sich rückhaltlos für die Interessen ihrer blinden und gehörlosen Mitmenschen einsetzte, und ihrer mutigen, pädagogisch weitblickenden Lehrerin Anne Sullivan. Helen Keller wurde mit neunzehn Monaten taub und blind; eine Heilung war aussichtslos. Erst als sich fünf Jahre später die junge Anne Sullivan der kleinen Helen annahm, lernte das Mädchen allmählich, Begriffe zu entwickeln, zu denken und sich ihrer Umwelt mitzuteilen. Eine erstaunliche Entwicklung begann: Helen absolvierte die Schule, beendete erfolgreich ein Universitätsstudium und wurde eine weithin bekannte Schriftstellerin und Rednerin.

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Die Autorin:

Helen E. Waite beschäftigte sich schon als Kind am liebsten mit der Schreibmaschine. Ebenso anziehend waren für sie die Vorhänge einer Bühne und die Zettelkästen auf dem Tisch eines Bibliothekars. Mit zehn Jahren beschloss sie, Theaterstücke auf der Schreibmaschine zu schreiben und Bibliothekarin zu werden – so konnte sie die drei Dinge, die sie am meisten fesselten, vereinen und außerdem noch alle Bücher der Bibliothek lesen! Später studierte sie Bibliothekswissenschaften und Jugendliteratur. Viele Jahre war sie Bibliothekarin in der Oradell Public Library.

Quelle: Verlag Freies Geistesleben

Rezension:


Wir starten heute als erstes ein Experiment.
Verbindet euch einmal die Augen, verschließt eure Ohren mit Watte und versucht euch in eurer Wohnung oder im Haus zurecht zu finden. Na, könnt ihr auf Dauer euer Gleichgewicht halten oder Entfernungen richtig einschätzen? Gar nicht so einfach. 
Und nun stellt euch vor, eure Welt würde von einem Tag auf den anderen für immer in Dunkelheit und Stille versinken.
Helen Keller ist dies in einem Alter passiert, in dem Kinder ihre ersten Worte sprechen lernen, beginnen die Welt um sich herum zu erkunden. Wie beängstigend musste dieses Gefühl sein, da ihr ja niemand erklären konnte, was da mit ihr passierte.
Sie ist nicht das einzige Kind, dem ein solches Schicksal widerfahren ist, doch sie ist wohl die populärste Person, da sie als eine Art Vorreiterin für alle taubblinden Menschen gilt. Es war ihr in ihrem Leben nie genug allein voran zu kommen, nein, sie ebnete den Weg für viele fortschrittliche Lehrweisen und neue Erkenntnisse auf diesem Gebiet.
Helen Keller hat mich bereits als Kind fasziniert und beeindruckt. Unsere erste Begegnung erfolgte durch Evelyn Cleve´s Buch „Helen Keller“ aus dem Jahr 1947 (Williams & Co ~ Verlag Berlin).

Hierbei handelt es sich um ein Kinderbuch aus dem Fundus meiner Oma. Es entspricht vom Stil her der damaligen Zeit und wurde mit sehr viel Feingefühl geschrieben. Ein großer Schatz in meinem Bücherregal.

„Öffne mir das Tor zur Welt“ lässt uns auf modernere Art einen Blick auf das Leben und die Entwicklung von Helen Keller werfen. Auch nimmt es uns mit auf eine Reise in die späteren Jahre dieser beeindruckenden Frau bis hin zu ihrem Tod. 

Besonders gefallen hat mir, dass wir als Leser auch sehr viel über Anne Sullivan erfahren. Ohne sie, wäre das Leben, wie es Helen Keller führen durfte, nicht möglich gewesen. Dennoch wird sie oft nur als Lehrerin und Freundin erwähnt. Helen Waite jedoch lässt sie als eigenständige Person in Erscheinung treten. Anne Sullivan opferte sehr viel für Helen Keller. Ihr gebührt sehr große Anerkennung, die sie immer wieder bescheiden ablehnte.

„… Gewiss war Helen intelligent und furchtlos, aber es kam noch etwas hinzu. Sie war im Schoße einer wunderbaren Familie aufgewachsen und hatte vor allem eine Mutter, die die Weisheit, die Geduld und die Stärke besaß, ihr kleines Kind frei herumlaufen, die Umwelt erforschen und durch Erfahrungen so lernen zu lassen, wie das jedes gesunde Kind tut; eine Mutter, die es nicht zurückhielt aus Angst, es könnte sich verletzen…“

Helen Keller hatte das große Glück in einer liebevollen zu  Beginn ihrer Krankheit finanziell gut gestellten Familie aufzuwachsen. Ich weiß nicht, ob ich mein Kind in dieser Situation hätte so loslassen können, wie es Helens Mutter tat. Sie trat auch nie in Konkurrenz mit Anne Sullivan und versperrte durch Eifersucht, die sicher verständlich gewesen wäre, Helens Weg.

„… Vielleicht ist der Grund für Helen Kellers hervorragende Leistungen darin zu suchen, dass sie während der ersten beiden Jahre ihrer Erziehung nicht merkte, dass sie `erzogen` wurde. Sie besaß die ungeteilte Aufmerksamkeit von Teacher, und Teacher hatte die Einsicht und die Fantasie, sich über Regeln und Routine hinwegzusetzen. Lernen bedeutete niemals Aufgabe und Arbeit für die kleine Helen Keller, sondern Spaß und Abenteuer…“

Mit Anne Sullivan wurde ihr nicht einfach nur eine Lehrerin zur Seite gestellt. Nein, die beiden verband ein Leben lang eine innige Vertrautheit und Freundschaft. Anne Sullivan, die in ihrer Kindheit selbst mit Blindheit geschlagen war, konnte die Verhaltensweisen des anfangs ungebärdigen Kindes nachvollziehen. Beide waren sich in vielen Dingen äußerst ähnlich. 

Sie war es auch, die die wache Intelligenz und den Ehrgeiz ihres Schützlings erkannte. Noch jung und unerfahren verließ sich Anne auf ihre Intuition.


„… Sie übt eine starke Anziehungskraft auf Menschen aus“, meinte Annie. „Wahrscheinlich, weil sie an allem und jedem so lebhaft interessiert ist. Niemand kommt auf den Gedanken, sie zu bemitleiden…“

Dennoch wäre diese für die damalige Zeit weit fortschrittliche Entwicklung und Bildung von Helen Keller nicht ohne viele weitere Menschen möglich gewesen. Helen besaß die Gabe, dass sich die anfängliche Neugier der Bostener Gesellschaft in wahre Zuneigung und Freundschaft zu ihr verwandelte. Sie nahm die Menschen für sich ein und beeindruckte durch ihre Willenskraft und Intelligenz. Ohne diverse Gönner und Zuwendungen hätte sie nie die Ausbildung, Freiheit und Unabhängigkeit genießen können, die ihr zu diesem außergewöhnlichen Leben verhalfen. So verband sie eine lebenslange spontan entstandene Freundschaft mit Mark Twain.

„… So zynisch und sarkastisch er sein konnte, Samuel Clemens hatte ein Herz, das immer leicht und schnell von allem Ergreifenden gerührt wurde, und sowohl in Helen als auch in Annie entdeckte er etwas Reines und Schönes. …  Helen liebte er, Annie würdigte er, wie es nur wenig andere taten…“

Bedenkt beim Lesen, dass Helen Keller 1880 geboren wurde. Nur so könnt ihr erfassen, wie weit sie und vor allem auch Annie ihrer Zeit voraus waren. Welche enorm fortschrittliche Lebensweise und Entwicklung das Leben dieser beiden Frauen bestimmte.

Trotz ihres sehr privilegierten Lebens, sah sie nie über das Leid anderer hinweg. Bereits mit zehneinhalb Jahren besaß sie die Größe, sich mit Erfolg und all den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für einen kleinen taubblinden von der Gesellschaft ausgestoßenen und im Armenhaus dahinsiechenden Jungen einzusetzen. Dafür verzichtete sie ohne zu überlegen auf Geschenke oder Zuwendungen. Welches gesunde Kind würde dies heute ohne weiteres tun?

Überhaupt erst einmal zu begreifen, was die auf ihren Händen per Fingersprache aufgetragenen Zeichen zu bedeuten haben, die Abstraktion von Worten und Sätzen zu verstehen, wenn man weder sehen noch hören kann ist faszinierend. 
Beeindruckt hat mich die in dieser Zeit vorherrschende Vielzahl an Blindenschriften. Helen beherrschte eine große Anzahl dieser Schriftalphabete. Das ist so, als würde man durch Deutschland reisen und alle gängigen Dialekte erlernen. Nebenbei „sprach“ sie fließend Französisch, lernte Griechisch und Latein. Sie lernte die „normale“ Druckschrift und Schreibmaschine zu schreiben.

Ich habe begonnen, mich mit der Brailleschrift zu beschäftigen.

Bislang wusste ich nicht, dass man Braille von rechts nach links schreibt, in umgekehrter Reihenfolge der Buchstaben, damit die Braille-Höcker – nach dem Umdrehen des Blattes zum Lesen – in der richtigen Reihenfolge erscheinen.
Auch das Erfühlen der einzelnen Punkte ist für ungeübte und entsprechend unempfindliche Finger recht schwierig.

Ihre Prüfungen fürs College schrieb sie auf der Schreibmaschine und erzielte beeindruckende Ergebnisse, so z. B. mit Auszeichnung in englischer Literatur. Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich Texte noch einmal quer lese und verändere… Dies war für Helen Keller nicht möglich. 
Auch wurden ihre seitens der Prüfungskommissionen sehr viele Steine in den Weg gelegt. Ihre Prüfungen fanden unter weit erschwerteren Bedingungen als nötig statt. Doch sie gab nie auf und bewies, dass auch ein taubblinder Mensch einen Studienabschluss erreichen kann – mit oft besseren Ergebnissen als ihre Mitkommilitonen.

Helen Keller und Anne Sullivan öffneten dem Fortschritt die Tür. Das Buch „Öffne mir das Tor zu Welt“ hat mir einen neuen weitreichenderen Blick auf das Leben dieser beiden bewundernswerten Frauen erlaubt. Dabei ist es keine langweilige Biografie, sondern einfühlsam und unterhaltsam in Romanform gefasst. Man freut sich und leidet mit ihnen, ist stolz über jede neue Hürde, die gemeistert wurde und ist gespannt auf das noch kommende.

Nachfolgend noch eine kurze Zusammenfassung der Lebensdaten und von Helen Keller veröffentlichten Publikationen. Die Daten stammen aus meinem „alten“ Buch und sind nicht vollständig. 

Sollte eure Neugier geweckt worden sein, dann lest doch mal rein. Ich kann das Buch nur empfehlen.

Kimmy vergibt 5 von 5 Käseecken
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2 Antworten zu Rezension „Öffne mir das Tor zur Welt – Das Leben der taubblinden Helen Keller und ihrer Lehrerin Anne Sullivan“ von Helen E. Waite – Verlag Freies Geistesleben

  1. Ich habe auch einmal ein Buch über ihre Lebensgeschichte gelesen, aber ich weiß nicht war, wie es hieß bzw. welche Ausgabe das war. Darauf gekommen bin ich über die Verfilmung mit Anne Bancroft "Licht im Dunkel" https://de.wikipedia.org/wiki/Licht_im_Dunkel, kennst du die auch? Die kann ich wirklich sehr empfehlen!LG Anette

  2. Zwiebelchen sagt:

    Hallo Anette,danke für den Link, den hatte ich noch gar nicht gefunden. Ich glaube, die Verfilmung kenne ich. Auf der Seite gibt es aber noch weitere interessante Informationen, da werde ich am Wochenende mal in Ruhe alles nachlesen…LG Anja

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