Die böse „Vier“!

Jetzt
erwischt es auch mich. Die böse »Vier« holt mich ein. In wenigen Wochen feiern
wir meinen Geburtstag. Bisher kein Grund, um sentimental zu werden.
Mit Achtzehn
dachte ich, Siebzehn hörte sich doch irgendwie besser an. Viele Dinge erschienen
mir damals spannender, aufregender und einfacher. Außerdem mochte ich den Klang
dieser Zahl. Achtzehn empfand ich eher als langweilig. Die ganze Aufregung um
den Achtzehnten Geburtstag, die Volljährigkeit, konnte ich nicht verstehen.
Vieles wurde vielmehr komplizierter. Die Zwanzig war keine so große Hürde, eher
unspektakulär. An meinem Dreißigsten Geburtstag schlich sich dann schon ein
merkwürdiges Gefühl in die Magengegend, doch wirklich realisieren wollte ich
das nicht. Zu diesem Zeitpunkt hielt mich unsere gerade knapp vier Monate alte
erste Tochter auf Trapp. Ich genoss es, einfach nur Mama zu sein und dachte
weniger über mein Alter nach. Mit Vierunddreißig fast Fünfunddreißig sah das
dann schon anders aus. Während ich mit unserer zweiten Tochter schwanger war,
musste ich mir die ersten kritischen Kommentare über mein Alter gefallen
lassen. Schließlich zählte ich nun zu den Risikoschwangeren. Ich fühlte mich
aber gar nicht alt und die schrägen Blicke, weil ich sämtliche riskanten bzw.
in meinen Augen unsinnigen Untersuchungen nicht durchführen ließ, nervten
einfach nur. Natürlich kamen Gedanken auf, wie alt ich in einigen Jahren sein
würde, wenn dieses kleine Wesen 15, 20 oder 30 Jahre alt wäre. Doch ganz tief
drin in mir, fühlte ich mich manchmal noch wie Achtzehn und der alltägliche
Trott hielt mich von weiterem Nachdenken ab.
Die Zahlen nach der Drei wurden immer größer und ich begann
meine Umgebung mit kritischeren Augen anzusehen. Vielleicht ist es nur eine
punktuelle Wahrnehmung, doch um mich herum veränderten sich Freunde und
Bekannte. Nicht offenkundig, aber doch unterschwellig. Es war, als würden alle
Personen, die ich kenne, Ende der Dreißig / Anfang Vierzig in Panik verfallen
und nach dem Sinn ihres Lebens bzw. neuen Perspektiven suchen. Einerseits
geschah dies vorsätzlich und berechnend andererseits eher unbewusst, ob nun in
der realen oder einer virtuellen Welt. Freunde kamen aus sich heraus und
zeigten nie geahnte Seiten oder Talente an sich. Andere wiederum zogen sich aus
dem wirklichen Leben und von langjährigen Freunden zurück und suchten sich
dafür einen entsprechenden Ersatz bzw. virtuelle Freunde. Letztere sind ja auch
nicht „gefährlich“, da alles recht locker und unverbindlich bleiben kann. Es gibt
sie nur im Netz und die Wirklichkeit ist weit weg. Sie kommen nur so nah an
jemanden heran, wie dieser es zulässt.  Auf den einzelnen Plattformen rückt die
Realität beiseite und niemand weiß, wie der Gegenpart in Wirklichkeit ist. Jeder
kann hier so sein, wie er möchte, jünger oder älter, gebildeter sogar männlich
oder weiblich. Niemand kann nachvollziehen, was der andere im realen Leben so
macht oder denkt. Viele geben nicht einmal ihren wirklichen Namen oder gar eine
Adresse preis.
Eine
andere Gruppe setzte sich nochmals auf die Schulbank, sie erweiterten ihre
Studienabschlüsse, bauten sich neue Existenzen auf oder entschieden sich noch
einmal für Familienzuwachs.
Vieles,
was meine Altersgenossinnen taten vermittelte mir den Eindruck von
Torschlusspanik und ich konnte manche Dinge nicht nachvollziehen, einige bis
heute nicht. Naja und ich war der irrigen Meinung, mir würde so etwas nie
passieren. Oh, wie hatte ich mich geirrt.
Nach
meinem 38. Geburtstag sah ich um mich herum plötzlich nur noch Frauen mit kugelrunden
Bäuchen und Watschelgang. In der Stadt und selbst im Urlaub schien es mehr
Kinderwagen als Autos zu geben und es wimmelte einfach nur so vor Babys. Und
dann war er einfach da, der Wunsch nach einem dritten Kind. Mein Mann wollte
schon immer drei Kinder und natürlich hoffte er noch immer auf einen
Stammhalter. Momentan befand er sich zu Hause in der Minderheit – drei Frauen
gegen einen. Wir hatten im Scherz schon mehrfach darüber philosophiert, gingen
aber nie direkt auf das Thema ein.
Aber
ich war ja auch schon Achtunddreißig, hatte bereits zwei süße Mädchen im Alter
von 9 und 3 Jahren, unser Haus, einen Job, viel zu viele Hobbys und verrückte
Ideen. Also genügend Arbeit und Verpflichtungen, dafür viel zu wenig freie
Zeit. Wie sollte das gehen? Diese Frage stellte mir später dann auch meine Mom.
Dennoch,
ich hörte meine biologische Uhr ticken. Dieses Tick Tack wurde von Tag zu Tag
lauter und übertönte jegliche Bedenken. Der Wunsch nach einem weiteren Baby
wurde übermächtig und natürlich auch die winzige Hoffnung auf einen kleinen
Jungen. Aller guten Dinge sind schließlich Drei sagten wir uns. Wenig später
bekamen wir tatsächlich Besuch vom Klapperstorch und zu unseren zwei Mäusen
gesellte sich ein kleiner aufgeweckter Mäuserich hinzu. Alle waren glücklich,
selbst die nun dreifachen Großeltern, die uns kurzerhand kopfschüttelnd für
verrückt erklärt hatten, als sie die Neuigkeit erfuhren. Die Kinder liebten
sich von der ersten Sekunde an abgöttisch und auch jetzt, acht Monate später
hat sich daran nichts geändert. Alles war gut und hatte sich leichter
eingespielt als gedacht. Natürlich funktioniert manches nur mit Unterstützung
der Omas.
Eigentlich
hätte ich nun glücklich und zufrieden sein müssen. Ich war mittlerweile Neununddreißig,
hatte einen tollen Mann und drei supersüße, liebe, gesunde und intelligente Kinder.
Weit gefehlt, denn da gab es noch diesen besonderen Traum, den nur meine Mom
wirklich ernst nahm. Neben vielen kurzen Abhandlungen und Gedankenfetzen lag in
meinem Schreibtisch ein kleiner ordentlicher Stapel Papier, eng bedruckt und
liebevoll gehütet. Mein Manuskript für ein Kinderbuch. Der Text wurde immer mal
wieder umgestellt, korrigiert und neu ausgedruckt. Danach lagen die Blätter
erneut in der Schublade. Mein Traum, mein eigenes Buch im Buchhandel zu sehen
schien unerreichbar. Es war ja auch nur eine nette kleine Geschichte für
Kinder, nicht ganz fünfzig Seiten lang und für die renommierten Verlage
uninteressant, da eben kein Harry Potter.
Hier
zeigt sich einmal wieder, wie wundervoll Mütter sein können. Egal wie alt man
ist, Mama ist doch die Beste, zumindest meine. Mit ihrer Hilfe wird nun in wenigen
Wochen mein Buch verlegt. Zwar in einem Zuschussverlag, doch es ist mein Werk
und ich bin stolz darauf, es geschafft zu haben. Und als Zugabe gab es
wunderschöne und liebevoll entworfene Zeichnungen zur Untermalung der einzelnen
Geschichten sowie ein tolles Buchcover. Ob es sich verkauft, wird sich zeigen.
Dennoch hinterlasse ich, wenn auch nur winzige, aber doch Spuren auf dieser
Welt.
Wenn
da nur nicht dieser verflixte 40. Geburtstag wäre. Hat mich die Torschlusspanik
jetzt auch eingeholt oder wird unsere Generation ab diesem Alter eben einfach
nur kreativer und energetischer? Krempeln sich nur meine Geburtsjahrgänge in
diesem Alter um und erfinden sich neu oder ist es ein generelles Altersproblem?
Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch einfach nur die Angst, das halbe
Leben hinter sich zu haben, die Zeit davonrennen zu sehen. Die Aussicht auf
eine langweilige Zukunft mit Frauenzeitschriften und Gesprächen über Antifaltencremes
oder Rheumasalbe. Meiner Mom sage ich immer, sie sei nicht alt und meine das
auch so, weil ich sie nicht als alt empfinde. Doch geht es um mich selbst, verändert
sich die eigene Sichtweise.
Jedenfalls
erwachte ich eines Morgens und in mir brodelte es. Eine innere Unruhe hatte
mich erfasst und in meinem Kopf spukte nur noch eine Frage herum: »Warum nicht
doch noch ein Fernstudium anfangen?«  Aber
geht das? Da wären ja auch noch die drei Kinder, der Haushalt und später dann
mein Job. Bleibt da genügend Zeit für alles und vor allem auch zum Lernen?
Jetzt kann ich sagen, es funktioniert. Gut, manchmal eher schlecht als recht
und ob ich die ersten Prüfungen schaffe, ist auch noch nicht raus. Doch es geht
und es wird von Tag zu Tag besser. Organisation ist alles. Ich finde auch jeden
Tag noch ein paar verloren geglaubte graue Zellen wieder. Vielleicht sollte man
die Welt nicht mit einem allzu starren Blick betrachten, sich einfach mehr
zutrauen und das eigene Alter nicht ganz so ernst nehmen. Es kommt auf die
inneren Werte an und wie man sich selbst fühlt.
Die
Meinung von Außenstehenden ist oft wichtig, sollte aber nicht die eigene
Persönlichkeit untergraben. Man kommt vielleicht weiter, wenn man sich die
Meinung anderer aneignet und vertritt, doch glücklich macht das auf Dauer
nicht. Ich behalte lieber meine eigene Lebensansicht, habe eine tolle Familie
und wenige, dafür aber gute Freunde.
Bei
den einen werden jetzt die Kinder bereits flügge und verlassen das Nest. Sie
sind wieder „frei“. Andere beginnen gerade erst mit der Familienplanung oder starten
noch einmal durch. Egal wie, jeder richtet sich das Leben so ein, wie er mag
und genießt es. Eben nur auf eine andere Art und Weise.
Es gibt Menschen, die sind bereits mit Zwanzig schon alt. Ich gehöre
nicht in diese Kategorie und werde sicher auch nie ganz „erwachsen“ werden. Das
Leben ist zu schön und hat noch viel zu viel zu bieten, als dass man sich von
einer Zahl in seiner Altersangabe unterkriegen lassen sollte. Egal in welchem
Alter, jeder sollte den Mut haben,  seine
Ideen – und klingen diese auch noch so verrückt – umzusetzen. Fatal ist nur,
irgendwann zu bedauern, es nicht getan zu haben. Im Englischen gibt es einen
Ausspruch dem ich folgen möchte: „Live your dreams. Because if you don´t, you will regret it one day. “

Also, keine  Angst vor der ach so
bösen »Vier« ! Das Leben bietet uns noch viele Möglichkeiten, man muss sich
einfach nur trauen, diese wahrzunehmen. 
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