Auftakt der Herbstlese – Felix Leibrock & Gäste – Ein literarisches Quartett

Heute eröffnete Monika Rettig die 20. Herbstlese in der
Stadtbibliothek Erfurt. Ein Jubiläum, auf das die Initiatoren dieser
Veranstaltung zu Recht stolz sein können.
In der Erfurter Stadtbibliothek trafen Felix Leibrock (Leiter des
ev. Bildungswerk München), Matthias Gehler (Hörfunkchef MDR Thüringen), Dietmar
Herz (Universität Erfurt, Staatswissenschaftliche Fakultät) und Dirk Löhr
(Vorsitzender des Vereins “Erfurter Herbstlese”) in gemütlicher Runde
aufeinander und läuteten traditionsgemäß die Erfurter Herbstlese ein. Ich hatte
das Vergnügen, das literarische Quartett hautnah zu erleben.

Auf diesen Abend habe ich mich besonders gefreut, bedeutete er
auch ein Wiedersehen mit Felix Leibrock, der meinen Mann und mich vor 15 Jahren
getraut hat. Sympathisch und humorvoll hat er diesen Tag unvergesslich werden
lassen. Ein gutes Omen möchte man meinen. Uns hat sein Segen auf jeden Fall
Glück gebracht. Und wieder einmal bestätigt sich der Ausspruch: “Man trifft sich immer zweimal im Leben.” – oder auch öfter.
Bereits damals beherrschte es Felix Leibrock, seine Texte sowie
auch unsere Traurede in einer ausdrucksvollen Bildersprache zu formulieren. Er
verglich eine gute Ehe mit dem Backen eines Kuchens. Das Fehlen von
Kleinigkeiten wie zum Beispiel Backpulver kann dem Gelingen eines Kuchens
schaden. So muss auch beim Führen einer guten Ehe auf die Kleinigkeiten
geachtet und eine Beziehung immer wieder neu gepflegt werden.
Münzen wir dies nun einmal auf den Bereich der Literatur um. Eine
Geschichte ist nur so gut, wie der Autor, der sie erzählt. Bereits die ersten
zehn Seiten entscheiden, ob ein Lektor sich weiter mit dem Text beschäftigt
oder nicht bzw. der Autor seine Leser einfangen kann. Doch was ist gut und was
schlecht? Liegt dies nicht immer im Auge des Betrachters? Gerade über Literatur
lässt sich streiten. Und genau dies haben die vier Herren des literarischen
Quartetts heute Abend getan. Vier Bücher, die wir im Rahmen der Herbstlese noch
kennenlernen werden, wurden von Herrn Leibrock für diesen literarischen Disput
ausgesucht.
Das diesjährige Motto lautet: “Fürchtet Euch nicht?”
Dieser Ausspruch hat nicht nur einen christlichen Bezug. Gerade
aktuell müssen Ängste und die Furcht vor dem Fremden im Alltag überwunden
werden. Felix Leibrock zitierte in diesem Zusammenhang aus Matt Haigs aktuellem
Buch “Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben”:
“Für mich waren Bücher der Weg aus Einsamkeit und Krise
heraus.

Warum gerade diese Bücher? Weil sie eine bunte Mischung
verschiedener Genre bedeuten und somit genügend Diskussionsstoff liefern.
Ja, die Gemüter haben sich teils sehr erhitzt und die Meinungen
trifteten auseinander.
So rührte “Vom Ende der Einsamkeit” Matthias Gehler zu
Tränen und auch Dirk Löhr gab zu, ein Tränchen vergossen zu haben. Dagegen
zeigte sich Felix Leibrock nicht ganz so gefühlsbetont und kritisierte die
Fülle von Weisheiten, die sich auf zu engem Raum tummeln. Dietmar Herz
betrachtete das Werk von Benedict Wells eher nüchtern: “Das Lesen des Buches ist vergleichbar mit dem Genuss
eines schweren Abendessens, bei dem man das Gefühl hat, gut gegessen zu haben,
den Tisch aber mit einem unangenehmen Völlegefühl verlässt.”

Das Buch stieß zwar von drei Seiten auf herbe Kritik, erklärte
sich aber zum Herzensbuch von Herrn Gehler: “Ein Buch ganz dicht am Leben.”
Dagegen beschäftigen sich das Quartett bei “Warum Europa eine
Republik werden muss!” mit der Frage: “Was kann ein Buch leisten?” Unstrittig bescheinigten sie der Autorin
eine grandiose Idee, deren Umsetzung und Format jedoch von der Grundaussage
weit entfernt sind. Felix Leibrock fasste es in kurzen Worten zusammen: “Eine brillante Kernaussage, aber jenseits der
Realität.”
Bei der “Die S. E. A. Expedition” waren sich alle einig,
dass diese Abenteuerreise mit dem heutigen Wohlstandstourismus nicht dieselbe
Außenwirkung aufweisen kann, wie das Original von Ernest
Shackleton. Wird das Buch noch als “sprachliches Desaster”
bezeichnet, ist man auf den Vortrag mit vielen Fotos und persönlichen
Gesprächen sehr gespannt und erwartet einen interessanten Abend. Diese
Eindrücke lassen sich nicht per Buch, eher im direkten Gedankenaustausch und
der Untermalung mit einzigartigem Bildmaterial wiedergeben.

Zum Schluss der Roman, der alle vier Herren beeindrucken konnte. Mit kurzen
prägnanten Sätzen geht es in “Weit über das Land” um das Verschwinden
an sich und die Frage: 

“Ist dies große Kunst oder großer Mist?” 

Einig waren sie sich jedoch, dass Peter Stamm ein tief
psychologische Werk geschaffen hat, das keine wirkliche Aussage trifft, ohne
eigentliche Handlung auskommt, aber viel Raum für Interpretationen lässt. Und
genau durch diesen Mix an Stilmitteln sowie der Eindringlichkeit seines
Schreibens wird das Buch nachhaltig wirken und die Gemüter bewegen.
Jetzt ist es an Euch, Euch eine eigene Meinung zu den genannten
Büchern zu bilden.

So verging der erste kurzweilige Herbstleseabend viel zu rasch.
Es war zu spüren, dass sich Felix Leibrock, Matthias Gehler,
Dietmar Herz und Dirk Löhr seit Jahren kennen und verstehen. Trotz stellenweise
hitzigem Disput, herrschte dennoch eine harmonische Grundstimmung zwischen den
Kritikern.
Humorvoll, mit viel Witz und Verstand konnte mich das literarische
Quartett restlos begeistern.
Definitiv ist den vier Herren mit Ihrer Diskussionsrunde ein
perfekter Auftakt der Erfurter Herbstlese gelungen.
Es wird eine Reihe von bunten, spannenden und facettenreichen
Lesungen folgen, seid gespannt. Weitere Artikel werden hier, in der Thüringer
Allgemeinen und auf Onlineportal der Thüringer Allgemeinen veröffentlicht.

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